Der Weihnachtstraum

von Monika Lexa

Monika, die von ihren Eltern liebevoll „Monchichi“ genannt wurde, während ihr kleiner Bruder sie nur „Gaga“ rief, hasste Singen. Und Kekse backen. Und überhaupt alles, was mit Weihnachten zu tun hatte – außer die Geschenke, die liebte sie.Jedes Jahr passierte das Gleiche: Alle warteten festlich gekleidet auf das Läuten der Glocke, das den Start der Bescherung ankündigte. Und während Oma, Opa, Mama, Papa und der kleine Bruder langsam das Wohnzimmer betraten, den geschmückten und beleuchteten Baum bestaunten und dann zu singen begannen, stürzte sich Monika auf die Geschenke und begann, sie auszupacken. Oder anders gesagt: Sie riss wie wild die Verpackung der Geschenke ab, weil es ihr nicht schnell genug gehen konnte. Dabei konnte es durchaus vorkommen, dass sie auch ein Geschenk erwischte, das eigentlich jemand anderem gehörte. Das hatte ihren kleinen Bruder schon einige Male zum Weinen gebracht. Denn er wollte seine Geschenke gern selbst auspacken.

Die Zeit vor dem 24. Dezember verlief ähnlich: Während Mama und Opa gemeinsam mit den Kindern Kekse backen wollten, Papa schöne Weihnachtsgeschichten vorlas und Oma sich auf das gemeinsame Anzünden der Kerzen am Adventkranz freute, hatte Monika nur eines im Sinn: Wann gab es denn endlich Geschenke?

Weihnachten – das war doch das Fest der Geschenke, richtig? Viele Male hatten die Eltern und auch die Großeltern versucht, dem Mädchen zu erklären, dass es nicht nur um die Geschenke ging. Sondern auch darum, gemeinsam eine schöne, besinnliche Zeit zu verbringen – beim Kekse backen, beim Geschichten lesen, beim Singen. Aber Monika ließ sich nicht davon abbringen: Weihnachten, das bedeutete Geschenke. Nicht mehr. Nicht weniger.

Und so kam es, dass sie auch in diesem Jahr beim Kekse ausstechen und backen nicht mitmachte, bei den Geschichten, die ihr Papa vorlas, nicht zuhörte, und auch das gemeinsame Anzünden der Kerze am 1. Advent bekam sie nicht mit, denn sie saß schmollend in der Ecke. Abends im Bett dachte sie sich: ‚Wenn es nur endlich Geschenke gäbe! Alles andere brauche ich nicht. Keine Kekse, kein Singen, keine Geschichten, keinen Adventkranz. Nicht einmal einen Weihnachtsbaum!‘

Als sie in dieser Nacht einschlief, hatte sie einen Traum: Es war Weihnachten, das Weihnachten, bevor sie geboren wurde. Ihre Eltern saßen auf der Couch und bestaunten den Christbaum, den die Großeltern so schön geschmückt hatten. Die Mama hatte einen dicken Bauch, denn bald sollte das kleine Mädchen, also sie, geboren werden. Alle strahlten über das ganze Gesicht und Oma sagte: „Ich kann es kaum erwarten, bis unser kleiner Engel auf die Welt kommt. Ich freue mich schon jetzt auf unser erstes gemeinsames Weihnachten mit ihr.“ Und Opa sagte lachend: „Ja, ich werde ganz viele Kekse mit ihr backen. Und wir werden so viel Spaß dabei haben!“ Mama lachte und nickte: „Und wir werden singen.“ Und Papa sagte: „Ich freue mich darauf, ihr alle Geschichten zu erzählen, die ich als Kind auch so gern mochte. Und Geschichten, die ich nur für sie erfinden werde.“ Und Oma sagte: „Sie ist unser größtes Geschenk.“

Und dann hatte Monika noch einen Traum. Es war Weihnachten, sie war ganz klein und ihr Bruder war eben auf die Welt gekommen. Alle saßen um den Christbaum herum und lachten gemeinsam und sangen und aßen die selbstgebackenen Kekse. Papa und Opa wechselten sich beim Geschichtenerzählen ab und Monika sah sich selbst im Traum mitsingen und mitlachen und Kekse essen. Mama sagte: „Das ist das Schönste an Weihnachten. Wir sitzen alle beisammen und verbringen Zeit miteinander.“ Und Oma sagte: „Monika und Martin sind unsere größten Geschenke. Ich brauche kein anderes Geschenk.“

Als Monika am nächsten Morgen aufwachte, wollte sie plötzlich backen, singen und Geschichten hören. Und das tat sie auch. Die Geschenke waren überhaupt nicht mehr wichtig. Und wisst ihr was? Dieses Weihnachtsfest wurde das schönste seit langer, langer Zeit.

Monika Lexa ist Lehrgangsleiterin des Ghostwriterlehrgangs, Mentaltrainerin, Fachtrainerin und Bunter Vogel.

Mehr zu ihr findest du unter monikalexa.com.

Foto: Rossart Photography