Luki, der dickköpfige Zornbinkel

von Hanna Fiedler

Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit ein hübscher, aber dickköpfiger und zorniger, kleiner Junge, den alle, die ihn kannten, einfach „Luki“ nannten.

Luki wollte nicht reden und so begnügte er sich immer mit einem Wort. Wenn ihm langweilig war, dann rief er seiner Mutter zu:“ Heyyyyyyma!“ und schon kam die Mutter angelaufen und fragte: „Luki, hast du Hunger?“

Luki schüttelte den Kopf und sah sie an. „Luki ist dir kalt?“, fragte die Mutter als nächstes. Und wieder schüttelte der kleine Luki seinen Kopf. Diesmal schon etwas energischer. „Luki, was magst du denn?“, versuchte die Mutter von ihrem Sohn zu erfahren. Doch der schaute sie nur böse an und wartete darauf, dass sie es erriet.

Sie versuchte, herauszufinden, ob Luki spielen wollte, ob Luki zeichnen wollte, ob Luki Durst hatte, ob Luki …

Luki wurde bei jeder Frage, die die ihm Mutter stellte, immer wütender. ‚Warum weiß sie denn nicht, was ich will? Wenn sie mich wirklich liebhat, dann weiß sie das doch!‘, dachte Luki dann traurig und zornig zugleich. Und irgendwann kam entweder die Mutter darauf, was Luki wollte, oder Luki war so zornig, dass er nur mehr weinen konnte, bis er vor Erschöpfung einschlief.

Eines Abends hörte Lukis Mutter ihn wieder einmal rufen. Sie erkannte am Tonfall, dass er Durst hatte – aber, ob er heute Kakao oder Limonade wollte, konnte sie nicht erraten. Zornig warf sich Luki auf den Boden und tobte. Traurig und mit hängendem Kopf verließ die Mutter das Zimmer. Beide weinten sich in den Schlaf. Die Mutter, weil sie ihrem Sohn nicht helfen konnte – Luki, weil er nicht bekam, was er wollte.

An diesem Abend – bald, nachdem Luki eingeschlafen war – begann er auch schon zu träumen. Er träumte von einer riesigen Tasse heißer Schokolade. Eine Tasse, so groß wie eine Suppenschüssel.

Eine Tasse, auf der sein Name groß zu lesen war. Den Duft des Getränks konnte man schon von Weitem riechen. Im Traum griff Luki immer wieder nach dieser Tasse. Aber bevor er sie greifen konnte, verwandelte sie sich jedes Mal in ein riesiges, buntes Fragezeichen, das auf seinem Punkt davonhüpfte. Luki warf seinen Kopf hin und her, wie er es tat, wenn seine Mutter seine Wünsche herausfinden wollte. Er schrie zornig herum, wie er es tat, wenn seine Mutter nicht gleich erriet, was genau er wollte.

Aber in seinem Traum nützte ihm das alles nichts. Und wieder dachte der kleine Mann: „Wenn mich das Fragezeichen wirklich liebhätte, dann wüsste es, was ich mir wünsche!“

Nachdem alles im Traum passierte, konnte das Fragezeichen Lukis Gedanken genau hören.

„Hey Luki, was ist mit dir los? Du kannst mir doch sagen, was du genau möchtest! Ich mag dich sehr, aber ich kann doch nicht in dein Hirnkastl schauen. Wenn du etwas Bestimmtest möchtest, dann musst du es schon sagen, sonst bekommst du lange nicht, was du möchtest. Und manchmal ist es dann zu spät – auch wenn ich mich sehr bemühe, es herauszufinden.“

„Du schwindelst, Fragezeichen!“, dachte Luki zornig. „Du bemühst dich gar nicht. Du hast mich nicht lieb. So wie meine Mutter. Der ist es auch egal, was ich mag. Ich weiß es bei dir immer! Ich hab dich nämlich lieb!“, dachte Luki trotzig.

Das wollte das Fragezeichen ganz genau wissen. Da traf es sich gut, dass das Fragezeichen einen ganz großen Wunsch hatte. Und da am nächsten Tag Weihnachten war und sein Wunsch, dass ganz viele Familienmitglieder kommen sollten, dazu passte, dachte das Fragezeichen ganz schnell an seinen Wunsch und meinte: „Also gut! Du sagst, du weißt auch immer, was ich mir wünsche, weil du mich liebhast, dann fang einmal an zu erraten, was es ist!“

Ganz aufgeregt und mit roten Bäckchen fing Luki an zu fragen: „Wünschst du dir was zum Spielen?“ Das Fragezeichen schüttelte seinen ganzen Körper – Kopf hatte es ja keinen. Dann fragte Luki: „Wünschst du dir einen bestimmten Gast?“

Das Fragezeichen schüttelte den Körper schon ein bisschen stärker, es grummelte auch schon vor sich hin. So wie es auch Luki bei seiner Mutter immer tat. „Wünschst du dir was Bestimmtes zu essen?“, fragte Luki weiter. Und er triumphierte, als das Fragezeichen dies bejahte. „Na siehst du, dachte Luki, ich weiß es, weil ich dich liebhabe. Mich hast du nicht lieb und meine Mama hat mich auch nicht genug lieb, die weiß es nie“, setzte er traurig fort.

„Halt!“, rief da das Fragezeichen und verformte sich schnell zu einem Rufzeichen. „Deine Mutter, weiß oft, was du brauchen könntest, aber nicht genau, was du willst. Sie weiß, wenn du Hunger hast. Sie weiß, wenn du müde bist. Sie weiß, wenn du durstig bist. Sie weiß nur nicht, was genau du dann trinken willst. Aber das hast du bei mir ja auch noch nicht herausgefunden. Hast du mich also doch nicht lieb?“, forderte das Fragezeichen den kleinen Mann heraus.

‚Klar weiß ich das! Wenn man Durst hat, dann will man am liebsten Cola, und wenn man Hunger hat, mag man am allermeisten Schokopalatschinken – oder Pommes mit Ketchup‘, dachte er ganz aufgeregt. Das wusste er genau, denn das waren seine Lieblingsspeisen. Auch viele seiner Freunde mochten das am liebsten. Da war sich Luki ganz sicher. Und deshalb sagte er mit stolzer Stimme und ganz laut. „SCHOKOPALATSCHINKEN!“ Und dann schaute er das Fragezeichen ganz erwartungsvoll an. Er freute sich schon sehr darauf, ihm zu zeigen, dass er recht hatte. Doch das Fragezeichen schüttelte seinen Körper so fest, dass Luki sofort erkannte, dass Schokopalatschinken nicht gemeint waren. Na gut, dachte Luki, kein Problem. Jetzt weiß ich sicher, dass ich mit Pommes mit Ketchup recht hab. Und er rief: „Na, dann eben Pommes, nämlich Pommes mit Ketchup!“

Aber was geschah da? Das Fragezeichen wurde zornig und traurig zugleich und meinte: „Du hast geschummelt! Kann es sein, dass du mich gar nicht richtig liebhast? Ich mag keine Pommes und schon gar keine Palatschinken. Weißt du denn nicht, was ich mag? Magst du mich denn nicht genug?“

Luki mochte das Fragezeichen sehr gern. Das Fragezeichen half ihm in seinen Träumen oft beim Nachdenken, aber er wusste wirklich nicht, was es wollte. Dann begann er zu raten: „Ist es was Heißes?“ Das Fragezeichen stampfte zornig auf „Ist es was Kaltes?“ Das Fragezeichen nickte, schaute aber fordernd, weil es immer noch nicht bekommen hatte, was es sich wünschte. Und gleichzeitig merkte es, dass es bald schon zu spät sein könnte. „Ist es ein Salat?“, fragte Luki weiter und wurde langsam traurig. Er wollte nicht, dass das Fragezeichen an seiner Zuneigung zweifelte. Aber das Zeichen warf sich auf den Boden und sah schon fast aus wie ein Strich.

„Ich weiß nicht, was du magst, liebes Fragezeichen“, sagte Luki ganz verzweifelt, aber glaub mir, ich hab dich wirklich sehr lieb!“

„Ja, weißt du Luki, so geht es auch deiner Mutter. Wenn du ihr nicht sagst, was du willst und was nicht, sondern nur tobst und schreist, dann seid ihr beide traurig und verzweifelt. Also, wenn du willst, dass jemand anderer weiß, was du haben möchtest, gibt es nur einen Weg: Sag es einfach!“

Das verstand Luki und wollte es in Zukunft auch so machen und damit gleich morgen, beim Weihnachtsfest, beginnen.

Aber bevor er in Ruhe weiterschlafen konnte, wollte er noch wissen, was sich das Fragezeichen die ganze Zeit gewünscht hatte. Das Fragezeichen schaute bedrückt: „Es wäre eine Eistorte für die Nachspeise am Weihnachtsfeiertisch gewesen … aber jetzt ist sie geschmolzen. Ich hätte vielleicht doch früher sagen sollen, was ich will!“

Am nächsten Morgen traute die Mutter ihren Ohren nicht, als sie hörte, wie Luki sagte: „Mama, ich hätte bitte gern eine heiße Schokolade mit Zucker und Schlagobers – für uns beide, wenn du die auch magst. Weil ich hab dich genauso lieb wie du mich auch!“

Und als das Fragezeichen aus dem Traum genau hinsah, konnte es sehen, dass Lukis Mutter eine Glücksträne über die Wange kullerte.

Hanna Fiedler, geboren 22.7.1960 war bis 1994 in verschiedenen kaufmännischen Berufen unzufrieden. Schließlich entschied sie sich zu einer vierjährigen Ausbildung zur Dipl. Lebensberaterin. Diesen Beruf übt Hanna Fiedler nun seit 1999 selbstständig und erfolgreich aus.

Bereits erschienene Bücher:

„Unser Leben zu dritt – er, die Demenz und ich“
„Tinchen und andere Lebensmärchen“
“Gut, dass der Zug NICHT kam”

Foto: Miriam Mehlmann