Fiumicino Diaries, Teil 7
Markttag
Fiumicino Tagebuch Teil 7
Heute ist Samstag. Und damit der Tag, an dem wir zum Wochenmarkt gehen. Darauf freuen wir uns schon seit Wochen! Ein richtiger italienischer mercato (oder marketto, wie ich sage).
Angeblich soll es Gewitter geben, und so ist meine Meisterin der Planung etwas unrund. „Wir haben doch die wasserfesten Beutel fürs Handy“, meine ich leichthin. „Des passt scho!“
In der Früh ist allerdings von Gewitter keine Rede, auch wenn die Möwen gestern schwer hysterisch brüllend in ganzen Herden über unseren Köpfen gekreist sind, bis wir uns wie in einem italienischen Remake von „Die Vögel“ vorgekommen sind.
Der Wecker schallt um sieben, und wir torkeln schlaftrunken aus unseren Betten. Mit Kopfschmerzen. Tatsächlich nicht von einem gestrigen Achterl, das gab es nämlich nicht. Sondern von den wirklich geilen nagelneuen Luxuskopfpolstern, mit denen unsere Gastgeberin uns ausgestattet hat. Wie ihr ja schon wisst, und wie vor allem Moni am eigenen Kopf erfahren musste, sind die Teile etwas sperrig. Und für uns zu hoch, was für eine hochgradige Nackenverspannung sorgt.
Einen Kaffee später ist es soweit.
Wir müssen noch Geld abheben — man weiß ja nie, was man auf so einem Markt alles findet!
Und das, also einen Geldautomaten aufzustöbern, könnte eine Herausforderung werden. So was gibt’s hier weit und breit nicht. Was schon zeigt, dass wir nicht gerade in der touristischsten Ecke Italiens gelandet sind.
Aber wir, und mit „wir“ meine ich Moni, haben einen Plan. „Auf dem Weg zum Markt, ungefähr bei Minute 15, gibt’s ein paar Banken. Da finden wir sicher einen ATM!“
Also strandeln wir los, die Strandpromenade entlang. Um Neuland zu entdecken. Weit sind wir ja bisher nicht gekommen. Aber jetzt!
Wir passieren Giorgio, gehen weiter die Promenade entlang — und entdecken Schlumpfhausen! Hier nennt sich das anders, aber ich habe Beweisfotos!
Ein riesiges schlumpfiges Ressort, in weiß und schlumpfblau. Weniger infantile Gemüter würden sagen, in den Farben von Griechenland gehalten. Aber so kann das jeder ausdrücken!
„Da vorne dann links, dann noch ein Stückerl, da sind dann die Banken!“
Nachdem wir Kohle aufgetankt haben, erklimmen wir eine kleine Brücke über den Tiberarm — und sind in einer anderen Welt. Ein Lokal reiht sich ans nächste, es sieht aus wie in einem hochklassigen Urlaubsort. So, noch ein Quergassl nach hinten, und dann sollten wir schon da sein.
Das erste, was wir sehen, sind Pfannen. Und ein Automat für Wartenummern am Käsestand. Dann versinken wir im duftenden, lauten, bunten Durcheinander eines typischen italienischen Wochenmarktes. Der Geruch von reifen Nektarinen mischt sich mit dem Odeur ebenso reifen Käses und dem Eau de Plastik der chinesischen Elektronikmassenware. Eine Kakophonie an Stimmen vermengt sich mit dem Piepsen eines kleinen Autoroboters, dem eigentlich nur noch eine Staubsaugfunktion fehlt, so wie der auf dem Boden herumzischt.
Ein Stand bietet Leinenkleidung an. „Tutto puro lino“, ruft uns die Verkäuferin, eine adrette Fünfzigerin zu, dann an ihren Mann gewandt: „Come si chiama lino in inglese?“ Wir kommen ihr zuvor. Wir haben es schon verstanden!
„Ah, parlate italiano!?“ Ein bissl, nicken wir. Was die Untertreibung des Jahres ist, zumindest was Moni betrifft. Immerhin hat sie ein Studium der Translationswissenschaften in italienisch und englisch abgeschlossen! Ich kann immerhin einen Satz korrekt aussprechen: „ Il treno non c‘e piu!“ und mir anhand meiner perfekten Halbbildung in der lateinischen Sprache vieles zusammenreimen.
Während wir die Blusen und Hosen sn dem Stand inspizieren, verfolgt uns die Signora in freundlichster Absicht — immerhin sind wir DIE Touristen hier, mehr gibt’s nicht! — und textet uns zu. Wir wissen jetzt, dass Ungarisch und Deutsch quasi die gleiche Sprache sind. Nur im Ungarischen gibt’s noch mehr Ö. Und sie nennt Moni ununterbrochen „bella“, was ich unglaublich süß finde.
Am Ende bezahlen wir schwer erschöpft und vom Wortschwall erschlagen einen Bruchteil des angeschriebenen Preises und brauchen dringend Frühstück.
Als wir die kleine Bar hinter den Standeln ansteuern, passiert es mal wieder. Alles ist leer dort, die Sitzplätze draußen ebenso wie der Verkaufsraum. Kaum hab ich unsere Bestellung aufgegeben — un cafe, un cafe doppio un aqua naturale, un cornetto con crema e un tramezzino tonno — stürmen diverse Familiengruppen die Hütte. Und die Sitzplätze werden Mangelware. Unsere geheime Superpower, die niemand braucht! Wir ergattern gerade noch einen hohen Tisch mit zwei Hockern und beobachten das nun rege Treiben.
Eine junge Mamma schafft es trotz nuckelndem Baby an der Brust die ganze Familie — zwei Buben, einen größeren Buben, der vermutlich ihr Mann ist, sowie eine nonna — zu organisieren. Hut ab!
Vor dem Lokal hat sich — verkehrstechnisch höchst prekär — ein älteres weibliches Pärchen aufgebaut, das lautstark (wie sonst?) mit irgendjemandem videotelefoniert. Die anderen kommen, schlürfen ihren cafe um einen Euro und gehen wieder.
Ich schaffe es gerade noch, das halb aufgefressene Essen zu fotografieren, bevor wir es vernichten. Und dann geht es weiter. Oh, wir sind schon durch! Oh, eine hübsche Espressomaschine! Die ich nicht kaufe.
Dafür kaufe ich um die Ecke im Kiosk ein Schundblattl, il gossipe, um mein Italienisch aufzufrischen. Die Verkäuferin nennt mich „carissima“, was meinen Tag noch ein bisschen besser macht.
Und dann trotten wir nicht einmal so schwer beladen zurück zum porto und seinen Lokalen.
Die Strecke von ca zehn Minuten hat in uns den Wunsch nach einem weiteren cafe aufflammen lassen, und dem geben wir hemmungslos nach.
Oh, die Tasse! Wie hübsch ist die! Die möchte ich gerne in meiner Sammlung haben! Also mach ich das, was ich immer mache. Ich gehe rein und frage, ob ich sie kaufen kann. Leider nicht, erfahre ich und mache den Fehler, „ma perche no?“ zu fragen. Einen durchaus freundlichen Redeschwall und fünf Minuten später weiß ich, dass sie nicht mehr viele davon haben. Schaaaade! Ich überlege kurz „Lasciate mi comprare….“ nach der Melodie von Celentano zu trällern, möchte aber niemandes Gehör schädigen.
Stattdessen setze ich mich brav wieder hin.
Da fällt mir etwas anderes auf: Gleich neben unserem Lokal gibt’s eine Apotheke!
„Sollten wir vielleicht eine Salbe gegen unsere Verspannungen checken?“ Moni nickt begeistert, und nachdem diese Art von Aufgaben (mit fremden Menschen reden) in meine Zuständigkeit fällt, mache ich mich unverzüglich auf. Moment, Apotheke! Maske! Ich zupfe die rosarote Maske, die mich überallhin begleitet, aus dem Rucksack und will sie mir schon überstülpen, als mein Blick glücklicherweise noch rechtzeitig ihr Inneres streift. Oh! Die war gestern mit am Strand, im Beutel mit der offenen Klappe! Also schüttle ich erst einmal eine halbe Tonne Sand heraus, bevor ich mich auf die Mission Nacken begebe.
Wieder zurück am Tisch, sticht mir ein Wollknäuel ins Auge, das unter dem Nachbartisch liegt. In heller Cognacfarbe und an der Leine gehalten. Fluffig!!!
Ich stupse Moni an. „Wir wollten doch gemeinsam mit unserem Schnucki einen Hund adoptieren! Wie wäre es mit so einem?“
Unser Schnucki, oder anders gesagt einer unserer liebsten Freunde, ist wie wir sehr tierlieb. Und immer wieder reden wir halb im Spaß über einen Hund mit geteiltem Sorgerecht. Vielleicht sollten wir doch ernsthaft drüber nachdenken?
„Ja, der ist fluffig! Können wir ihn Fluffy nennen?“ „Gut, aber wir müssen beim Namen auch S.‘s serbische Wurzeln würdigen! Dragana Fluffi?“
Schließlich einigen wir uns auf Dragana Flufficka und teilen dem begeisterten Schnucki unsere Pläne per Sprachnachricht mit.
Inzwischen schlendern wir in der zunehmend kräftigeren Sonne wieder zurück zu unserer Homebase, als wir einen Fisch sehen. Oder eigentlich die Überreste eines Fisches. Mitten auf dem Gehsteig. Wenn man es bisher auch kaum gemerkt hat, jetzt stellt sich heraus, dass uns die Hitze doch zusetzt. „Na, der hat sich ordentlich verlaufen! Das konnte nicht gutgehen!“
Schließlich, nach einem Kurzbesuch in unserem CONAD, schlagen wir mit hängenden Zungen zu Hause auf und beschließen, erstmal zu chillen und dann unsere Beute zu sichten.
Lisa Keskin ist
Autorin, BuchMacherin,
Leiterin der Ghostwriting Academy
und Schreibcoach