Der Stern, der sein Leuchten verlor
von Lisa Keskin
von Lisa Keskin
Es ist Dezember, die kälteste Zeit des Jahres – und auch die arbeitsreichste. Zumindest für die kleinen Sterne. Denn es wird nun schon so früh dunkel, dass sie mehr leuchten müssen als zu jeder anderen Zeit. So kann Mama im Sternenschein nach Hause gehen, wenn sie abends von der Arbeit kommt. Wenn Papa am Morgen Schnee schaufelt, solange es noch dunkel ist, dann spiegelt sich der Schein der kleinen Sterne im Schnee wider, sodass Papa nicht ganz im Finsteren arbeiten muss.
Es ist eine sehr wichtige Arbeit, die die kleinen Sterne da verrichten. Und auch eine sehr anstrengende. Denn wer kann schon immer strahlen?
Cora ist einer dieser kleinen Sterne am Nachthimmel. Sie leuchtet und blinkt mit den anderen um die Wette. Doch in letzter Zeit merkt Cora, dass sie manchmal müde wird. Das Leuchten wird immer anstrengender für sie. Und sie weiß auch nicht so recht, wofür sie eigentlich strahlen soll. Es bemerkt ja eh keiner, oder?
Ihren Freunden fällt auf, dass sie manchmal sogar bei der Arbeit einschläft. Dann bleibt eine kleine Stelle auf der Erde unbeleuchtet. Das kann gefährlich sein, denn dann sehen die Menschen nicht mehr, wo sie hintreten.
Cora weiß das und bemüht sich sehr, wachzubleiben – aber immer wieder fallen ihr die Augen zu.
„Was soll ich nur tun?“, fragt sie ihre beste Freundin Lila, die in einem wunderschönen, leuchtenden hellen Gelb übers ganze Sternengesicht strahlt. „Ich habe keine rechte Freude mehr am Strahlen!“ Lila schaut sie besorgt an. „Cora, ich glaube, du verlierst dein Leuchten!“
Sie denken lange darüber nach, was sie unternehmen könnten, damit es Cora wieder besser geht, kommen aber nicht so recht zu einer Lösung.
Dann, eines Nachts, verschläft Cora. Am Morgen kommt der Mond zu ihrem Platz. Der Mond ist für alle Sterne verantwortlich – er muss dafür sorgen, dass alle hell leuchten.
„Cora“, fragt der Mond. „Was ist los mit dir?“ Doch Cora kann ihm keine Antwort geben.
So schleicht sie traurig zu ihrem Platz zurück.
An diesem Tag kann Cora nicht schlafen und so rückt sie auf einen Platz, an dem sie auf die Erde schauen kann. Von dort aus beobachtet sie die Menschen.
Vor einem Haus stehen ein paar Kinder zusammen und reden über Weihnachten und darüber, dass sie sich schon sehr darauf freuen. Vor allem auf die Geschenke.
„Ich bekomme ein Feuerwehrauto!“ ruft einer der Buben. „Und ich habe mir vom Christkind ein Puppenhaus gewünscht. Ich bin sicher, dass ich es bekomme!“, jubelt ein kleines Mädchen mit roten Haaren. Nur eines der Kinder steht ganz still dabei.
Cora ist neugierig und beobachtet das kleine Mädchen ganz genau. Es lächelt scheu und schaut verträumt in den Himmel.
„Was ist mit dir?“, fragen die anderen. „Was möchtest du zu Weihnachten haben?“
Da strahlt das kleine Mädchen und sagt: „Zu Weihnachten gehe ich immer mit meinen Eltern in den Park. Am Abend, wenn es schon ganz finster ist. Das ist der einzige Tag im Jahr, an dem ich in der Nacht raus darf. Wir stehen dann alle auf einem kleinen Hügel, halten uns an den Händen und schauen uns die Sterne an. Und mein Papa erklärt mir dann, wie sie alle heißen. Das ist für mich das Schönste an Weihnachten. Die ganze Familie zusammen, ich darf lange aufbleiben und ich kann alle diese wunderschönen Sterne ansehen!“
Das kleine Mädchen reckt ihr Gesicht in Richtung Himmel und strahlt übers ganze Gesicht. Seine Augen leuchten so sehr, dass ein bisschen von dieser Freude Cora tief in ihrem kleinen Sternenherz trifft.
Sie fängt die Freude des Mädchens auf und auch in ihr beginnt es wieder zu leuchten.
So stark, dass sie es kaum aushält vor Freude. Cora hat ihr Leuchten zurück! Und sie weiß nun wieder, warum sie tut, was sie tut.
Purzelbäume schlagend, kehrt sie an ihren Platz zurück. Und von nun an ist Cora der strahlendste Stern am ganzen Himmelszelt.
Lisa Keskin ist Lehrgangsleiterin des Ghostwriterlehrgangs, Ghostwriter und Autorin, Mentaltrainerin und angehende Fachtrainerin.
Mehr zu ihr findest du unter lisakeskin.com
Foto: Rossart Photography