Was Übersetzer mit Schweinen zu tun haben
„Piero, können Sie für die deutsche Speisekarte bitte schnell den Begriff pulled pork in den Google-Übersetzer eingeben?“
„Natürlich, Chef“.
Am Abend gab es beim Buffet in der Villa Rosa dann Geficktes Schwein.
So muss sich das Gespräch im Vorfeld abgespielt haben, als ich vor einigen Jahren im Italien-Urlaub kurzzeitig an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifelte. Ein recht erheiterndes Beispiel für die leider recht weit verbreitete Annahme, dass Übersetzen gemeinsam mit Fliesenlegen und Autoreparatur in die Kategorie Moch i söwa fällt.
Als akademisch ausgebildeter Übersetzer und Dolmetscher und Inhaber eines Unternehmens für Sprachdiensleistungen bin ich bestimmt – wie wahrscheinlich jeder von uns, wenn es um den eigenen Berufsstand geht –, befangen, und bin überzeugt, dass mein Beruf ohne solide Ausbildung nicht erfolgreich ausgeführt werden kann. Wenn wir das breite Spektrum der beruflichen Tätigkeiten genauer unter die Lupe nehmen, kommen wir bei nüchterner Betrachtung tatsächlich zur Feststellung, dass dies auf das Gros der Erwerbstätigkeiten zutrifft. Müsste ich beispielsweise morgen als Tankwart einspringen, würde ich mich wahrscheinlich aus lauter Verzweiflung innerhalb der ersten Stunde mit dem Tankschlauch über der Säule mit dem Treibstoff für LKWs aufhängen. Ich hätte nämlich nicht den Hauch einer Vorstellung, welche Anforderungen an einen Tankwart gestellt werden.
Übersetzer sind Schriftsteller
Genau dies trifft auch auf das Übersetzerhandwerk zu. Wer darin keine Ausbildung genossen hat und über keine große Affinität zum geschriebenen Wort verfügt, starrt beim ersten Versuch wahrscheinlich mindestens 90 Minuten auf einen leeren Bildschirm. Denn was von vielen unterschätzt oder gar vergessen wird:
Übersetzer sind Schriftsteller.
Natürlich muss ein Übersetzer nicht für die Inhalte des Textes sorgen. Diese werden schließlich vom Original, im Fachjargon Ausgangstext genannt, geliefert. Um eine Übersetzung anfertigen zu können, muss der Übersetzer zunächst die Bedeutungseinheiten allein durch den fremdgeschriebenen Text und unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden kulturellen Basiselemente erörtern können. Einfach gesagt: er muss wissen können, was der andere denkt – die Verheirateten unter Ihnen lachen an dieser Stelle sicher hysterisch.
Verstehen ist jedoch nur der Anfang. Wie ich jedoch beispielsweise ein russisches Sprichwort auf Deutsch so ausdrücke, dass wir alle es verstehen können, ist die wahre Crux.
Hab eine gute Zeit … oder so
Ein einfaches Beispiel aus dem Englischen: Have a good time! Für die meisten bricht eine Welt zusammen, wenn ich ihnen erkläre, dass es das, zugegebenermaßen von unseren deutschen Nachbarn erfundene, zusammengeschusterte Konstrukt Hab eine gute Zeit! nicht gibt.
Hier kommen nun die schriftstellerischen Fähigkeiten ins Spiel: der Übersetzer muss die Zielsprache – meist die Muttersprache – sicher im Griff haben, um die Formulierungen so zu wählen, dass sich die deutschsprachigen Leser nicht daran stoßen. Um unseren englischen Ausdruck nun in die richtige Form zu bringen, muss die Situation analysiert werden: Fährt jemand auf Urlaub, kann ich die englische Floskel durchaus mit Schönen Urlaub! übersetzen, da der englischsprachige Gesprächspartner höchstwahrscheinlich dies zum Ausdruck bringen wollte. Geht jemand auf ein Konzert, sagt man im Deutsch beispielsweise: Viel Spaß! Sagt jemand Have a good time!, kurz bevor ich mit jemandem zum Abendessen gehe, würde man jemandem auf Deutsch einen Schönen Abend wünschen.
Sicher durch den Sprachdschungel
Allein an diesem banal wirkenden Beispiel kann man erkennen, wie viel Denkarbeit von einem Übersetzer geleistet werden muss und wie sicher er die Sprache, in die er übersetzt, kennen, ja beinahe fühlen muss. Hier möchte ich noch ergänzen, dass es sich bei Englisch und Deutsch um zwei Sprachen handelt, die sich strukturell und kulturell in gewisser Art und Weise ähneln. Stellen Sie sich nun vor, Sie müssten aus slawischen Sprachen oder Sprachen wir Persisch, Arabisch oder Chinesisch übersetzen – also aus Sprachen, die aufgrund der geographischen Lage und des kulturellen Hintergrunds völlig andere Begrifflichkeiten aufweisen –, während andere, die bei uns gang und gäbe sind, schlichtweg fehlen.
Aufgrund dieser angesprochenen schriftstellerischen Komponente wird eine Maschine auch nie einen Übersetzer ersetzen können. Es reicht dabei, ein einfaches deutsches Sprichwort oder den Titel eines Kinderliedes in den allseits geliebten Google Translator einzugeben und die englische Entsprechung zu lesen. Oder geben Sie das englische Wort leader ein. Und lassen es ins Deutsche übersetzen. Sie werden umgehend verstehen, was ich meine.
Schwein auf italienische Art
Nach dieser Lobeshymne auf meinen Berufsstand entlasse ich Sie nun wieder in den Alltag und schwinge mich in die Küche. Ich habe da noch so ein tolles Rezept für Schweinefleisch aus meinem letzten Italien-Urlaub…