Die personale Perspektive: Persönlich steht uns gut
Diese Perspektive und ihre Sonderform, die Ich-Perspektive, ist jene, die wir beim Schreiben am meisten verwenden. Vermutlich deswegen, weil sie unserer Wahrnehmung im realen Leben am meisten gleicht.
Denn so wie wir auch, weiß die personale Stimme – im Gegensatz zur allwissenden Stimme (Link) – nicht alles. Sie schlüpft in die Rolle einer einzelnen Figur und erzählt das Geschehen aus der Sicht dieser Person in der dritten Person. Das Geschehen wird wie aus der Perspektive einer Kamera erzählt, die dicht hinter dem/der Erzähler:in steht.
Außen wie innen
Demzufolge kann die personale Stimme auch nur das wissen, was die Figur weiß: alles, was sie wahrnehmen kann (was andere machen, sagen, mitteilen; was passiert; was die Figur vermutet und interpretiert) und alles, was in ihr selbst vorgeht (Gedanken, Gefühle, Motivationen, etc.). Alle anderen Hintergründe bleiben uns Leser:in nen verborgen. Das Geschehen wird also ausschließlich aus der Sicht dieser Figur vermittelt (Innenperspektive). Also genau so, wie wir durchs Leben gehen: Wir wissen (im Idealfall!), was in uns selbst passiert, bei anderen können wir aber nur wissen, was sie uns auch sagen. Alles andere ist Interpretation und Spekulation, denn wirklich hineinsehen können wir in keine Person.
Die personale Stimme kann auch wechseln. Beispielsweise, wenn in jedem Kapitel die Sicht einer anderen Figur dargestellt wird. Dann gibt es die personale Stimme aus der jeweiligen Figurensicht. Auch dadurch entstehen Einblicke in mehr als eine Figur der Geschichte. Siehe dazu auch Perspektivenwechsel (Link).
Achtung: In dieser Perspektive ist ein Rückblick möglich, eine Vorwegnahme oder Vorschau jedoch nicht, denn die Figur kann – ebenso wenig wie wir in unserem realen Leben – nicht wissen, was passieren wird. Sie ist ja mitten in der Geschichte (egal, in welcher Zeit diese Geschichte geschrieben wird).
Wie sieht Susi das?
Nehmen wir an, wir schreiben eine Geschichte – oder in diesem Fall Szene – aus Susis persönlicher Sicht.
Beispiel:
Susi war ein schüchternes Mädchen. Sie fragte sich selbst, ob sie jemals ihren Mut finden würde.
Dieser Gedanke kam wieder hoch, als sie in der Schule Richard gegenüberstand. Richard, der sie immer schubste. Dieses Mal schaffte sie es und sagte mutig zu ihm: „Du kannst mir nichts anhaben!“ Insgeheim dachte sie sich aber: ‚Hoffentlich geht das gut!‘
Die Geschichte wird aus Susis Sicht in der 3. Person erzählt. Daher wissen wir als Leser:innen alles, was in Susi vorgeht. Wir kennen also ihre Gedanken und Gefühle – die von Richard aber nicht. Denn so wie Susi können wir in Richard nicht hineinschauen.
Kaum hatte sie den Gedanken fertig gedacht, sagte Richard: „Es tut mir leid, ich weiß nicht, wieso ich das immer mache!“
Wir kennen Richards Gedanken und Gefühle also nicht, es sei denn, er spricht sie aus – so wie hier. Wir wissen also nur, was er auch wirklich macht (schubsen) und ausspricht (dass es ihm leid tut).
Tatsächlich werden die meisten Bücher in einer personalen Perspektive (oder auch in zwei oder drei unterschiedlichen personalen Perspektiven) geschrieben. Daher erspare ich mir hier eine Auflistung.
Wie sehe ich das? – Die ich-Perspektive als Sonderform
Die Ich-Erzähler:in steht mitten in der Geschichte und erzählt aus ihrer Sicht in der Ich-Form. Sie schildert alles, was sie denkt oder fühlt. Was die anderen denken oder fühlen, das bleibt – wie eben in der personalen Erzählstimme in der 3. Person auch – dieser Ich-Stimme verborgen und kann höchstens gemutmaßt werden. Das gilt somit natürlich auch für die Leser:innen.
Die Ich-Erzähler:in hat die Kamera, mit der das Geschehen aufgenommen wird, selbst in der Hand. Die Leser:in gewinnt durch diese Erzählperspektive den Eindruck, dass sie die Ereignisse direkt miterlebt.
Es gibt zwei Möglichkeiten:
• Die Geschichte kann erlebend beschrieben werden, die ich-Erzähler:in befindet sich also mitten in der Geschichte (meist in der Gegenwart).
• Oder die Geschichte wird erzählend beschrieben, das heißt, die ich-Erzähler:in erinnert sich.
Bei der erzählenden Form wird die Mitvergangenheit verwendet, daher ist auch eine Vorschau (Zukunft, Spoiler etc.) möglich. Bei einer Geschichte aus der ich-Perspektive in der Gegenwart ist eine Vorschau jedoch nicht möglich. Ich weiß ja in diesem Moment noch nicht, was passieren wird. Ein Rückblick ist jedenfalls in beiden Fällen möglich.
Beim erzählenden oder sich erinnernden Ich geht die Perspektive fast schon in Richtung allwissend, weil die Geschichte bereits passiert ist. Die Ich-Stimme kommentiert somit auch das Geschehene und bewertet auch mehr, distanziert sich eventuell sogar vom früheren Ich. Sie weiß natürlich noch immer nicht, was sich die anderen Figuren explizit denken, kann aber durch das Aufrollen der Geschichte mutmaßen und logische Zusammenhänge herstellen, weil sie das Ende der Geschichte sowie die Handlungen aller Beteiligten ja schon kennt.
Beispiel ich-Perspektive
Ich war ein schüchternes Mädchen. Ich fragte mich selbst, ob ich jemals meinen Mut finden würde. Dieser Gedanke kam wieder hoch, als ich in der Schule Richard gegenüberstand. Richard, der mich immer schubste.
Dieses Mal schaffte ich es und sagte mutig zu ihm: „Du kannst mir nichts anhaben!“ Insgeheim dachte ich mir aber: ‚Hoffentlich geht das gut!‘
Kaum hatte ich den Gedanken fertig gedacht, sagte Richard: „Es tut mir leid, ich weiß nicht, wieso ich das immer mache!“
Hier gibt es ein erzählendes/sich erinnerndes Ich. Theoretisch wäre es also möglich, eine Vorschau einzufügen, z.B.: Was ich damals noch nicht wusste … o.ä. Die Gedanken von Richard kennen wir trotzdem nicht, es sei denn, er hätte sie irgendwann geäußert.
Bücher aus der ich-Perspektive
Die ich-Perspektive eignet sich besonders gut für Biografien, aber auch für Storytelling im Rahmen eines Sachbuchs. Und natürlich für alle fiktiven Genres.
Beispiele aus der Literatur:
Ildiko von Kürthy: Herzsprung
Paolo Coelho: Der Zahir
Eine Übersicht über alle Erzählperspektiven findest du hier: Alles eine Frage der Perspektive: die Erzählperspektiven im Überblick