Weich wie Ton
von Monika Bock
von Monika Bock
Rund um mich Lichter, Kinderlachen, der Duft von Glühwein und brennendem Holz in Feuerkörben. Fehlten nur noch der Engelschor und Schneeflocken, die sanft zur Erde fallen. Eine Szene wie einem weihnachtlichen Kitschfilm entsprungen, hätte man annehmen können. Mir war saukalt, ich stand mir gerade die Füße in den Bauch und wartete seit zwanzig Minuten auf Mia, meine ach so liebe Freundin, die anscheinend wieder einmal auf mich vergessen hatte. Wir hatten uns vor einer Woche zum Punschtrinken am Christkindlmarkt verabredet. Sonst kommt man ja nie in Weihnachtsstimmung, meinte sie. Mein Griff zum Handy führte ins Leere – scheiße, das lag zu Hause in der Küche! Als ich weggegangen war, hatte ich das unbestimmte Gefühl gehabt, irgendetwas vergessen zu haben. Einmal zu oft hatte ich mein Bauchgefühl ignoriert. Jetzt konnte ich Mia nicht einmal anrufen. Und was, wenn sie schon die ganze Zeit versuchte, mich zu erreichen? Mir schossen auf einmal zig Gedanken durch den Kopf – was, wenn sie einen Unfall gehabt hatte, meine Hilfe brauchte, bei ihr sonst etwas Schlimmes passiert war?
„Okay, tief durchatmen, komm wieder runter, Felizitas“, maßregelte ich mich selbst. Fünf von zehn Malen mindestens hatte mich Mia in diesem Jahr versetzt, aus den unterschiedlichsten Gründen. Tragisch war davon keiner, die Entschuldigungen und Erklärungen waren eher kreativ.
Na gut. Wenn ich jetzt noch länger hier stand und wartete, konnte man mich als Eisskulptur verkaufen; wenn ich jetzt wieder nach Hause fuhr, war es pure Zeitverschwendung. Händereibend schaute ich mich um. Eigentlich ganz nett dieser Weihnachtsmarkt. Mir wurde langsam wärmer, als ich so zwischen den Ständen durchschlenderte. Es zog mich zu einem der Punschstände. Beerenpunsch, sauteuer, aber unwiderstehlich. Kaum hielt ich das dampfende Häferl in der Hand, wollte ich ihn probieren. In der Sekunde schon war mir klar, dass ich es bereuen würde. Autsch, verdammt heiß! Ja ich weiß, ich sollte geduldiger sein. Ist anscheinend in meinen Genen nicht vorgesehen. Innerlich bedauerte ich meine arme Zunge, die ich mir gerade ordentlich verbrannt hatte.
Nun etwas vorsichtiger am Punsch schlürfend wanderte ich weiter. Ich ging von Stand zu Stand, bewunderte hier handgefertigte Kerzen, dort Holzspielzeug, pädagogisch wertvoll natürlich, und begutachtete gläsernen Christbaumschmuck. Etwas abgelegener vom Marktzentrum sah ich eine Hütte. Nicht toll geschmückt oder blinkend beleuchtet, aber mit einem großen, lodernden Feuerkorb davor. Genau das Richtige, um mich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich etwas aufzuwärmen. Bei der Hütte angekommen, sah ich die Keramik, die dort angeboten wurde. Kreative, teils skurril geformte Tassen, Teller und Schüsseln. Jedes Stück anscheinend ein Unikat. Knallig bunt bemalt, in Mustern, die wie zufällig entstanden wirkten, aber in ihrer Gesamtheit dennoch ein harmonisches Ganzes ergaben. Das perfekte Weihnachtsgeschenk für meine Schwester, schoss es mir durch den Kopf.
„Hallo, ich würde gerne etwas kaufen!“, rief ich in die Hütte.
Sie war zweigeteilt. Im vorderen Teil wurden die Werkstücke ausgestellt und im hinteren Teil hörte ich jemanden herumwerkeln, aber ich sah niemanden.
„Bin gleich bei dir!“, rief jemand.
Wow, dachte ich, das ist ja eine Stimme! In meinem Nacken kribbelte es.
„Spinnst du, was soll das?“, war mein nächster Gedanke. Und nein, Wahnsinn lag nicht in meiner Familie, Selbstgespräche waren schon immer Teil meines Lebens gewesen. Diese Stimme in mir zeichnete sich vorwiegend durch einen erhobenen Zeigefinger aus, meine moralische Instanz, wenn man so will. Vielleicht sollte ich doch irgendwann mal mit einer Psychologin darüber reden, aber was soll‘s. Dann sah ich ihn, den Kerl zu der Stimme.
„Kein Jungspund mehr, aber immer noch sehr knackig“, dachte ich und zügelte sofort wieder meine entgleisenden Gedanken. Mit seinen zerzausten Haaren, der tonbeschmierten Arbeitsschürze und der leicht zerrissenen Jeans sah er aus wie der typische Künstler.
„Was gefällt dir denn?“, fragte er mit einem Lächeln.
Ich zeigte ihm die Tasse und den Teller, den ich haben wollte.
„Gute Wahl“, meinte er. „Wenn du willst, ich habe hinten noch ein paar andere Stücke, vielleicht gefallen die dir noch besser, komm einfach mal mit.“
Ich könnte nicht behaupten, dass ich zur schüchternen Sorte Mensch gehöre, aber irgendwie war es schon ein komisches Gefühl, ihm in den abgeschiedenen Teil der Hütte zu folgen. Es war sonst kein weiterer Besucher in der Nähe.
„Sei nicht so misstrauisch, mach schon!“, ermunterte ich mich selbst und folgte ihm. Ich stand in einer winzigen Töpferwerkstatt. Auf kleinstem Raum waren ein Waschbecken, Regale und eine Töpferscheibe untergebracht. Ich hatte ihn mitten in der Arbeit an einem Gefäß unterbrochen. Es war, als wäre ich in einer fremden Welt, so ganz anders als mein Arbeitsbereich in einem Büro.
„Hier vertreibe ich mir nur die Zeit, wenn mal keine Besucher an meinem Stand sind. Ich habe sonst eine größere Werkstatt.“ erklärte er.
„Ich wollte auch schon immer mal etwas Kreatives machen, aber über `Malen nach Zahlen` bin ich nie hinausgekommen. Was wolltest du mir denn noch zeigen?“
Er holte aus dem Regal einen Teller, leuchtend rot mit eingearbeitetem Muster und interessant geschwungenen Rändern. Passend dazu ein Trinkgefäß, nicht ganz klar, ob es eher Tasse oder Becher sein sollte.
„Ja, die nehme ich! Die werden Hannah gefallen.“
„Magst du dich noch umsehen?“ fragte er mit dieser ruhigen, entspannten Stimme, die mir schon wieder ein Kribbeln im Nacken verursachte.
„Ja gerne!“
Ich schaute auf den Klumpen Ton, der auf der Töpferscheibe darauf wartete, weiter bearbeitet zu werden und fragte mich, wie daraus ein Gegenstand werden kann.
„Möchtest du es mal probieren?“
Irritiert drehte ich mich zu ihm um. „Was meinst du?“
„Du schaust schon die ganze Zeit auf die Drehscheibe. Möchtest du mal probieren zu töpfern? Ich zeig es dir, wenn du willst.“
„Wie, jetzt?“
„Warum nicht, heute ist nicht mehr zu tun.“
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass mittlerweile der Markt schon ziemlich leer war und die meisten Stände schon geschlossen. Ich ließ mich darauf ein, ohne weiter darüber nachzudenken. Es war zu verlockend. Endlich mal etwas Neues, Kreatives tun zu dürfen, ein netter Mann, entspannte Stimmung, warum nicht. Er gab mir einen alten Arbeitskittel und half mir die Ärmel aufzukrempeln. Es kribbelte nicht mehr nur in meinem Nacken als er dabei meine Hand berührte.
„Und jetzt?“ fragend sah ich ihn an.
„Komm, setz dich auf den Hocker. Ich stell mich hinter dich und führe deine Hände, um dir zu zeigen, wie du den Ton formen kannst, wenn das okay für dich ist.“
Ohhhhh ja, und wie das okay war! Ich grinste in mich hinein. Sogar meine innere Stimme mit ihrer Moral hielt ausnahmsweise ihre Klappe. Er schaltete die Töpferscheibe ein, nahm meine Hände und führte sie an den feuchten Ton. Es fühlte sich kalt an, weich und dennoch kompakt. Er zeigte mir, wie ich die Form verändern konnte durch den Druck, den ich ausübe. Ich vergaß alles rund um mich. Mein Bürojob und sonstige Problemchen waren weit weg. Wir lachten, waren uns ganz nahe und werkelten einfach an diesem Stück Ton herum. Es war in diesem Moment so egal, dass wir uns eigentlich gar nicht kannten, nicht mal unsere Namen wussten wir. Nicht, weil wir sie verheimlichen wollten, es war einfach nicht wichtig. Irgendwann küsste er mich, einfach so, auf meinen Hals. Es fühlte sich so gut an, ich genoss seine Aufmerksamkeit. Er machte weiter, es war mir egal, ob meine Kleidung schmutzig wurde und die Töpferscheibe lag nicht mehr in unserem Fokus. Wir genossen den Augenblick, ließen uns vollkommen fallen, vergaßen Zeit und Raum.