Goldige Weihnachten

von Vanessa Brenner

Er hatte es satt, wieder einmal stand Weihnachten vor der Tür, das Fest der Liebe, das ihn daran erinnerte, dass er ganz allein war auf dieser großen weiten Welt.

Es ist nicht so, dass er es nicht versucht hätte.

Ida Igel hatte er eingeladen, die erschien aber erst gar nicht auf der Weihnachtsfeier, überkam sie doch eine irre Müdigkeit, welche sie entscheiden ließ, dass sie wohl doch auch „so eine“ wäre, die Winterschlaf halten müsste.

Rudi Rentier sagte ihm gleich schon ab, er hatte wie so üblich keine Zeit und murmelte etwas von Überstunden machen und irrem, bärtigen Arbeitgeber und Sklaventreiber.

Eugen Eichhörnchen war heuer spät dran und musste absagen, der Vorrat an Nüssen war immer noch nicht ausreichend. Als ob man bei einer meterhohen Schneedecke noch Nüsse ausfindig machen könnte.

Toni Trüffelschwein sagte erst gar nicht zu, es gab ihm zu wenig Pilze auf der Festtafel.

Bei Bruno Braunbär und Friedbert Fuchs musste man Angst haben, dass sich im Laufe des Abends die Anzahl der Geladenen dezimierte, diese wurden also gar nicht erst auf die Gästeliste genommen.

Viktor Vogel war nach Afrika auf Sommerfrische geflogen, ohne sich auch nur mit einem Wort zu verabschieden.

Snowy Owlivia Schneeeule war nicht auffindbar, sie hatte sich heuer wieder extrem gut an die Gegebenheiten angepasst.

Und seine Familie? Die hatte sich letzten Frühling zu sehr die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.

Frostie war der Letzte seiner Art.

Gut, was kann ich tun? Ich fühle mich einsam, ich habe diese Leere in meiner flockigen Brust sooo was von satt. Ich gehe ins Dorf, vielleicht kann ich hier ein paar nette Freundschaften knüpfen.

Wo ist der Schlitten? Ach ja, den hatten ja Rentier und sein Sklaventreiber entwendet.

Wiesel um sein Schneemobil anhauen? Ach, ging ja nicht, der verbrachte die Feiertage bei seiner neuen Flamme Wieseline und war bestimmt selbst damit unterwegs, um vor ihr anzugeben.

Was war gleich noch mit dem Zipfelbob, den Rentier mal als Auszahlung für seine Überstunden erhielt? Ein übrig gebliebenes Kindergeschenk, in welches Rentiers dicker Allerwertester ohnehin nicht reinpasste. Hmmm, wo könnte der abgeblieben sein? In Santas Werkstatt? Nein, und wenn doch unmöglich in diesem Chaos was zu finden. Na hier sieht’s aus, das kommt davon, wenn man das ausgebrannte Christkind in Frührente schickt.

Gut, wo noch, in Rentiers Stall? Auch nicht, okay. Im Wohnhaus der Wichtel? Auch nicht, arrghhh!

Nach ewiger Sucherei konnte Frostie die Ferrari rote Kinderrodel oder zumindest Bestandteile davon im Gartenhäuschen, auch nicht minder voller Chaos, ausfindig machen. “Pffff, was ist denn damit passiert, sieht wohl so aus, als hätte Rentier doch versucht mit der Gerätschaft zu fahren. Na, egal, ich leih mir den jetzt aus, ins Dorf ist es sonst ein guter Tag Fußmarsch, und dieser gestaltet sich schwierig ohne nicht vorhandene Gliedmaßen. Verdächtig knarrt er schon, der Zipfelbob, aber egal, wenn ich erst mal im Dorf bin und neue Freunde finde, brauche ich das gute Stück ohnehin nicht mehr.”

Voller Tatendrang schwingt sich Frostie auf das spezielle Rodelgerät und braust in Vorfreude den Weihnachtsberg hinunter Richtung Tal, sein Schal weht im freudig um sein Karottennäschen, und seinen Zylinder muss er mit seinem Stöckchenärmchen festhalten, um ihm nicht dem Fahrtwind zum Geschenk zu machen. Die ersten paar Meter laufen ganz gut, die erste große Tanne umrundet Frostie auch noch mit Geschick. Jetzt erst mal richtig Schwung nehmen, da unten bildet sich bereits eine Gerade ab, auf der es gilt, nichts an Geschwindigkeit zu verlieren. Schließlich will Frostie schnell im Dorf ankommen und noch heute verkünden, dass er möglichst viele Freunde mit ganz viel Liebe für ihn um sich scharen möchte.

Da, wieder so ein verdächtiges Krachen, jetzt mach bloß nicht schlapp, vermaledeites Plastikteil! Jetzt nur noch über das flache Stückchen kommen, dort ist bereits der Dorfplatz zu sehen. Geschmückt mit dem schönsten Weihnachtsbaum, den Frostie je gesehen hat, gut besucht mit jeder Menge neuer Freunde. Es riecht so herrlich verlockend nach Keksen, Kiachl und Kraut, und der ganze Platz ist erfüllt von Lachen, Freude und Liebe!

Da, ächz, krach, bumm, und ehe Frostie sich versehen kann, katapultiert es ihn im hohen Bogen von dem Zipfelbob oder dessen Bestandteilen, er sieht nur mehr wie sich die Lenkstange in den Schnee bohrt und der Ferrari rote Sitz in unzähligen Fetzen durch die Luft segelt. Bumm, autsch, das hatte weh getan. Nach ein paar Saltos wirbelnd durch die Luft prallt Frostie unsanft auf dem Dorfplatz auf.

Mist, was für ein Auftritt, das kommt bestimmt gut an. Wo ist mein Zylinder? Ach, da liegt er ja, direkt vor dem Dorfbrunnen. Eines seiner Stöckchenärmchen sieht auch recht mitgenommen aus, gut, nichts was ein Patzen Pattex oder Gaffer Tape nicht wieder in Ordnung bringen könnte. Aber Mist, wo ist mein Karottennäschen? Und noch schlimmer die Blicke der Dorfbewohner! Zuerst schockiert, dann amüsiert, und dann brechen doch tatsächlich ein paar von denen in schallendes Gelächter aus. Das hatte sich Frostie anders vorgestellt, seine erste Begegnung mit seinen neuen Freunden!

Freunde? Freunde würden ihn nicht auslachen. War das Ganze eine Schnapsidee gewesen? Seinen ihm bekannten Weihnachtsberg zu verlassen? Die Tiere des Waldes gegen diesen Hohn einzutauschen? War er zu undankbar mit dem gewesen, was er gehabt hatte? Und seine Entscheidung zu überzogen und von Ungeduld bestimmt? Das konnte wohl nur das schrecklichste Weihnachtsfest überhaupt werden.

Wäre ich doch nicht so dumm gewesen. Hätte ich doch geschätzt, was ich hatte. Das geschieht mir jetzt wohl Recht. Nun komme ich alleine den Berg nicht mehr hoch. Mein Ärmchen ist gebrochen und mein Näschen verschwunden. Jetzt ist mir alles egal, ich kann nur hoffen, dass es bald Frühling wird und ich mich zu meiner Familie gesellen darf.

Frosties dunkle Gedanken werden von einem hellen Stimmchen unterbrochen.

“Hallo, Herr Schneemann, ich habe da was von dir!”

Frostie dreht sich um, und schaut in das strahlende Gesicht einer pausbäckigen Kleinen mit großen Kulleraugen, welche ihm seinen verloren gegangenen Schal entgegenhält. “Ich war gerade auf dem Weg in die Schule. Heute backen wir Kekse zusammen und basteln Geschenke für unsere Eltern. Hast du Lust mich zu begleiten? Ich bin mir sicher ,die anderen Kinder freuen sich sehr, dich kennenzulernen!”

Da wird es Frostie ganz warm in seiner flockigen Brust, so ein Gefühl hat er bisher noch nie erlebt, und verlieren will er dieses ganz bestimmt nicht mehr, hatte er sich doch nichts so sehr gewünscht wie einen Freund, der mit ihm Weihnachten feiert. Und wenn die anderen Kinder genauso lieb und pausbäckig und kulleräugig waren wie diese Kleine, könnte er sich doch endlich geliebt und angekommen fühlen und den Schulhof bis zum Ende des Winters als sein neues Zuhause betrachten.

“Das klingt ganz großartig, du liebe Kleine, aber ich schäme mich. Ich habe mein Karottennäschen verloren, und alle hier lachen mich aus.”

“Ach, denk dir nichts, Erwachsene sind manchmal komisch und oberflächlich. Wir Kinder haben dich auch ohne Näschen und mit gebrochenem Ärmchen lieb. Einfach dafür wie du bist! Wie heißt du eigentlich?”

“Frostie” … aber Moment, vielleicht passte dieser Name nicht mehr so besonders gut, taute sein geeistes Herzchen doch gerade in einem enormen Tempo auf, um sich für dieses liebe Mädchen zu öffnen.

“Wie würdest du mich nennen, Kleine?”

“Was, mit so einem großen Herzen willst du Frostie sein? Hmmm, ich finde ja du solltest Coldi heißen, besser noch Goldie!”

“Coldi, Goldie, mir egal – Hauptsache, wir können Freunde sein!”

“Sicher sind wir Freunde, Freunde fürs Leben. Freunde für immer!”

Vanessa Brenner ist angehende Autorin und Ghostwriter sowie Mentaltrainerin.