Herzensgeschenk

von Monika Lexa

Hinweis

Trigger-Warnung: Diese Geschichte ist absolut nicht jugendfrei und enthält Gewalt und sehr viel Grauen.

Er hasste sie. Hätte er sie nur nie geheiratet! Oder noch besser, niemals getroffen. Sie hatte sein Leben zerstört. Und zerstörte es täglich weiter. Das Haus hatte er bei der Scheidung verloren, die Kinder sowieso.

„Kinder wachsen am besten bei der Mutter auf!“, äffte er laut die Richterin nach und nahm einen großen Schluck aus seiner Bierdose. „Alles Schlampen!“ Er trank die Dose mit einem weiteren kräftigen Schluck aus, zerdrückte sie mit seiner rechten Hand und warf sie mit Schwung gegen die Wand. Von dort fiel sie zu Boden, wo sie sich zu all den anderen Bierdosen gesellte, die das gleiche Schicksal erlitten hatten. Übrigens nur kurz vor ihr.

Er selbst hatte schon längst den Überblick verloren, wieviel er an diesem Tag schon getrunken hatte. So genau konnte man das auch nicht sagen, da er seit Tagen, seit dem letzten Gerichtstermin, nicht anderes getan hatte als zu trinken.

Das war alles ihre Schuld. Genauso, dass er seinen Job verloren hatte. Und letzten Endes sogar sein Besuchsrecht. Und das alles kurz vor Weihnachten.

„Das Fest der Liebe! Dass ich nicht lachte!“, grunzte er. Das Lachen war ihm schon lange vergangen. Ebenso wie der Glaube an Gerechtigkeit. Seine Sichtweise hatte niemanden interessiert. Er war der untreue Ehemann und der verantwortungslose Vater, ein arbeitsloser Säufer, ein Widerling.

Dabei hatte alles so romantisch begonnen, damals, als sie einander das erste Mal getroffen hatten. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, so wie man sie normalerweise nur aus den Filmen kennt. Als seine Augen die ihren zum ersten Mal getroffen hatten, war es um ihn geschehen gewesen. Um sie auch, hatte sie zumindest immer behauptet.

„Ich hätte ihr nichts glauben dürfen!“, knurrte er und öffnete die nächste Bierdose. „Nichts!“

All die Jahre hatte sie ihn belogen, ihn und alle anderen getäuscht, ihnen etwas vorgespielt. Nichts davon war echt – weder die treue Ehefrau, noch die liebevolle Mutter. Und trotzdem glaubte ihm niemand. „Gefickt eingeschädelt“, flüsterte er und sofort fiel ihm ein, dass sie die Comedy Sendung, in der dieser Spruch immer gefallen war, so oft gemeinsam gesehen hatten.

Wie sollte es nur weitergehen? Er konnte sich ein Leben ohne seine Kinder nicht vorstellen. Das interessierte nur niemanden. Ganz im Gegenteil, man sah ihn als Gefahr an, er würde seine Kinder nie wieder sehen dürfen. Dabei verstand er gar nicht, warum sie so um die Kinder kämpfte. Die einzige Person, die ihr wichtig war, war doch nur sie selbst.

„Schlampe!“, grunzte er verbittert. Er hatte sich schon so oft überlegt, wie er sie umbringen würde. So viele Möglichkeiten, manche schnell, andere langsamer und schmerzvoll. Und dann würde er seine Kinder packen und sie würden davonlaufen, einfach so, um irgendwo anders neu beginnen zu können. Aber tief drinnen wusste er: Egal, wie sehr er sie hasste, zu einem Mord war er nicht fähig. Nicht einmal, wenn es um sie ging.

Es läutete an der Tür. Das verwunderte ihn. Er erwartete doch gar kein Paket. Von wem auch? Es hatten sich doch alle von ihm abgewendet. Und auch wenn es der 24. Dezember war: Wer sollte ihm schon ein Geschenk schicken?

Trotzdem stand er auf, etwas mühsam, denn nüchtern war er schon lange nicht mehr, und schwankte zur Tür. Als er sie öffnete, sah er ein mittelgroßes Paket vor sich. Sein Name stand in großen, geschwungen Buchstaben darauf. Sein Herz blieb stehen, als er die Schrift erkannte. Das Paket war doch nicht etwa von ihr?

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und ein Lächeln zauberte sich in sein Gesicht: Vielleicht hatte sie sich doch besonnen und das hier war ein Geschenk der Kinder. Es war ja immerhin Weihnachten. Das Fest der Liebe.

Freude erfüllte sein Herz, das erste Mal seit langem. Er bückte sich, packte das Paket mit beiden Händen und trug es aufgeregt ins Wohnzimmer. Dort stellte er es auf den Tisch, nachdem er die Bierdosen, die es nicht bis zur Wand geschafft hatten, einfach auf den Boden gefegt hatte, und schnappte sich das nächstbeste spitze Ding, das er fand. Er wollte das Paket so schnell wie möglich öffnen, immerhin war es der erste Hoffnungsschimmer seit langem.

Mit dem Stanlymesser fuhr er schnell, aber vorsichtig, über das Klebeband. Als er die Schachtel öffnete, fand er eine kleinere, herzförmige Schachtel vor. Sein Lächeln wurde noch größer, seine Augen strahlten. Seine Kinder liebten ihn noch!

Bevor er die kleine Schachtel öffnete, fiel ihm eine Weihnachtskarte auf, die daneben lag. Sie hatten ihm sogar etwas geschrieben! Mit klopfendem Herzen öffnete er die Karte und las:

“Lieber Ex-Mann, hier hast du, was du immer wolltest. Ich bin dann mal weg.
Deine Ex-Frau.”

Die Karte fiel ihm aus der Hand, die zu zittern begonnen hatte. Er ließ sich auf die Couch fallen. Das Lächeln in seinem Gesicht war verschwunden, die Vorfreude ebenso. Stattdessen zog blankes Entsetzen in ihm auf. Er wusste genau, was in der Herz-Schachtel war. Warum hatte ihm niemand geglaubt?

Monika Lexa ist Lehrgangsleiterin des Ghostwriterlehrgangs, Mentaltrainerin, Fachtrainerin und hat sich auf Autor:innen spezialisiert, die sich mit dem eigenen Buch noch nicht so recht raustrauen.

Mehr zu ihr findest du unter monikalexa.com.

Foto: Rossart Fotografie