Weihnachten mit Freunden

von Monika Lexa

Harry, der kleine Spatzenbub, hasste die Weihnachtszeit. Denn das war jene Zeit, in der er sich noch einsamer fühlte als sonst. Harry war in einem Waisenhaus für kleine Vögel ohne Eltern groß geworden. Nun war er noch immer nicht erwachsen, aber er hatte das Waisenhaus schon vor langer Zeit verlassen und lebte nun allein auf seinem Baum im Wald. Er war lieber allein, als sich noch länger von den anderen Tierkindern im Waisenhaus hänseln zu lassen. Denn Harry hatte nur einen gesunden Flügel. Der andere war nie richtig gewachsen und deswegen konnte Harry auch nicht gut fliegen. Meistens hüpfte er von Ast zu Ast.

Und nun, so kurz vor Weihnachten, saß er meist nur in seinem Nest und wartete darauf, dass die schreckliche Weihnachtszeit wieder vorbeiging. Er würde auch danach allein sein, aber es kam ihm so vor, als sei die Einsamkeit zu Weihnachten immer am schlimmsten. Wie sehr wünschte er sich Freunde, mit denen er sein Leben teilen konnte, seine Gedanken und seine Träume, seine Ängste und seine Freude.

‚Aber wer sollte schon mit mir befreundet sein wollen?‘, dachte sich Harry, als er in seinem Nest saß. Er schaute auf seinen kleinen, kaputten Flügel. ‚Niemand will der Freund von einem Spatz sein, der nur einen gesunden Flügel hat und nicht gut fliegen kann.‘ Und wie er so traurig dasaß und sich wünschte, er hätte zwei gesunde Flügel, hörte er unten am Boden ein Schnaufen.

Und weil der kleine Spatz auch sehr neugierig war, hüpfte er aus seinem Nest heraus an den Rand des Astes und sah hinunter. Unten saß ein kleiner Fuchs, rot wie ein fröhliches Feuer, und schnaufte vor sich hin.

Vorsichtig hüpfte Harry hinunter, von Ast zu Ast, bis er schließlich – in der Nähe, aber sicherheitshalber doch weit genug vom Fuchs entfernt – sitzenblieb. Er neigte seinen Kopf und fragte: „Tschilp, wer bist denn du? Und warum schnaufst du so? Geht es dir gut?“

Der kleine Fuchs hob seinen feuerroten Kopf und sah Harry mit dunklen, traurigen Augen an: „Ich bin der Fuchs Friedrich. Und ich schnaufe, weil ich nicht gut atmen kann. Vor allem, wenn ich lange laufen muss, bekomme ich nicht gut Luft. Deswegen mag auch niemand mit mir befreundet sein.“

Harry hüpfte ein wenig näher: „Ich bin der Spatz Harry und habe auch keine Freunde, Fuchs Friedrich. Schau, ich habe einen kaputten Flügel.“

Der Fuchs sah sich den Flügel von Harry genau an. „Es freut mich sehr, dich kennenzulernen, Spatz Harry. Du bist ein freundlicher Spatz, denn du hast mich gefragt, wie es mir geht. Ich wäre gerne dein Freund.“

Dieser Satz zauberte dem kleinen Spatz ein Lächeln auf den Schnabel. „Ich wäre auch sehr gerne dein Freund, Fuchs Friedrich! Mir ist es egal, ob du schnaufst.“

Beide lachten und freuten sich, dass sie nun endlich einen Freund gefunden hatten. Da kam plötzlich ein schwarzes Wesen angehoppelt und blieb vor dem Fuchs stehen.

Harry und Friedrich schauten neugierig und Friedrich fragte: „Nanu, wer bist denn du?“

Das kleine, schwarze Wesen versteckte sein Gesicht hinter zwei großen Ohren und sagte ganz schüchtern und leise: „Ich bin das Häschen Hanna.“

„Hallo Häschen Hanna!“, riefen Harry und Friedrich im Chor und lächelten das Häschen an. „Aber warum versteckst du dein Gesicht?“, fragte Harry.

„Weil, weil, …“ stotterte Hanna. „… weil ich hässlich bin. Ich habe keine Schnurhaare auf der rechten Seite und alle anderen Hasen lachen mich deswegen aus.“ Das Häschen schluchzte. „Niemand will mein Freund sein.“

Fuchs Friedrich rückte ein wenig näher an Hanna heran und legte ihr eine feuerrote Pfote auf die schwarze Schulter. Und Harry hüpfte auf den Boden und stupste Hanna vorsichtig mit seinem Schnabel an.

„Wir wollen deine Freunde sein!“, sagte Friedrich. Hanna hob vorsichtig ein Ohr und lugte mit einem Auge hervor. „Wirklich?“

„Ja natürlich!“, rief Harry und freute sich, als Hanna auch ihr zweites Ohr hob und man endlich ihr hübsches Gesicht sehen konnte. Als der Spatz so seine neuen Freunde betrachtete, hatte er plötzlich eine großartige Idee: „Wollen wir gemeinsam Weihnachten feiern?“

Monika Lexa ist Lehrgangsleiterin des Ghostwriterlehrgangs, Mentaltrainerin, Fachtrainerin und Bunter Vogel.

Mehr zu ihr findest du unter monikalexa.com.

Foto: Rossart Photography