Weihnachten für jedes Kind

von Conny Sellner

„Mama, Mama, wusstest du, dass nicht jedes Kind zu Weihnachten Geschenke bekommt?“ Niklas stürmt aufgeregt bei der Haustür herein, wo ihn seine Mama wie jeden Tag nach der Schule mit einer herzlichen Umarmung empfängt.

„Jetzt zieh dich erstmal in Ruhe aus, Schatz, und dann erzähl mir beim Mittagessen alles der Reihe nach“, erwidert Niklas‘ Mama mit einem Lächeln. Der Junge atmet ein paar Mal durch und versucht, sich zu beruhigen, doch was er heute in der Schule gehört hat, kann er kaum glauben.

Seine Lehrerin hatte ihnen erklärt, dass Weihnachten nicht überall auf der Welt gefeiert wird. Also bekommen auch nicht alle Kinder am 24. Dezember Geschenke. Eine Tatsache, die Niklas traurig macht. Schließlich freut er sich jedes Jahr schon im Herbst darauf, die Packerl unterm Christbaum aufzumachen und die ganzen Winterferien mit seinen neuen Spielsachen zu spielen.

„Sind die Kinder dann nicht furchtbar traurig, wenn sie nichts bekommen?“, fragt der Junge seine Mama. „Sie haben andere Feste, an denen sie beschenkt werden. Und außerdem sind nicht die Packerl das Wichtigste an Weihnachten, sondern dass man mit den Menschen zusammen ist, die man liebhat – und dass man ihnen das auch sagt“, antwortet Mama, während sie den Tisch abräumt.

Niklas erinnert sich an die vergangenen Weihnachtsfeste und tatsächlich: Bevor es die Bescherung gibt, sagen sich alle immer gegenseitig, was sie besonders schön und toll an den anderen finden. Das macht immer ein ganz warmes Gefühl im Bauch von Niklas.

Am Abend im Bett denkt der Junge nochmal darüber nach, was Mama gesagt hat, und plötzlich hat er die Idee! Warum sagt ER den anderen Kindern nicht, was er an ihnen besonders schön und toll findet? Dann bekommen vielleicht auch sie ein warmes Gefühl im Bauch, das sie in den Winterferien wärmt. Aber er ist viel zu schüchtern, um es ihnen direkt zu sagen … was also tun?

Da erinnert sich Niklas an seinen eigenen Brief ans Christkind, den er immer in ein schönes Kuvert gibt, damit er ja nicht schmutzig oder zerdrückt wird. Ja, genauso wird er es machen! Ein Kuvert für jedes Kind in seiner Klasse mit einer Botschaft, was er an ihr oder ihm besonders gut findet. Vor lauter Aufregung kann der Siebenjährige kaum schlafen.

Gleich am nächsten Morgen erzählt er Mama und Papa von seiner Idee. Sie finden sie großartig und wollen ihm gern dabei helfen. Der Plan ist, am letzten Tag vor den Ferien jedem Kind ein Kuvert auf den Tisch zu legen. Mama backt Kekse, die sie in einem kleinen Sackerl dazugeben. Dazu muss Niklas früher in der Schule sein, um alles geheim zu erledigen. Schließlich sollen die Kinder glauben, das Christkind hätte die Botschaften hinterlassen.

23 Kinder sind in Niklas‘ Klasse. Viel zu tun für den kleinen Jungen. So verbringt er den ganzen Advent damit, nach der Schule und am Wochenende kleine Briefe für seine Freunde zu schreiben. Karin bekommt einen Zettel mit der Botschaft „Du bist toll, weil du ein hilfsbereites Mädchen bist.. Jan schreibt er „Du bist besonders, weil du andere immer zum Lachen bringst“. Und in Alis Brief steht „Du bist einzigartig, weil du dich um deine Freunde kümmerst“.

Für jedes Kind gibt es eine spezielle Botschaft, liebevoll verpackt in einem kleinen Kuvert, das Niklas sorgfältig verschließt. Am Abend vor dem letzten Schultag hat er es geschafft: Alle Kuverts und die Kekssackerl sind fertig verpackt. Als Niklas alles so vor sich sieht, ist es wieder da: Das wohlig warme Gefühl im Bauch. Schön ist das.

Doch halt! Er hat etwas Wichtiges vergessen! Wenn die Kinder sehen, dass er als Einziger keinen Brief hat, werden sie merken, dass er es war, der die Zettel geschrieben hat. Doch da hat sein Papa eine tolle Idee: Er gibt ein Stück leeres Papier in ein Kuvert, ein paar Kekse dazu und schon merkt niemand, dass die Briefe von Niklas stammen.

Voller Vorfreude macht sich der Junge viel früher als sonst auf den Weg in die Schule. Als er in die Klasse kommt, ist niemand da. Jetzt muss er schnell sein. Flink verteilt er alle Kuverts und Sackerl auf den Tischen der Kinder. Gerade als er beim letzten Tisch angelangt ist, kommt Emilia zur Tür rein. „Puh, Glück gehabt!“, denkt Niklas erleichtert. Auch auf seinem Platz liegt das Kuvert mit dem leeren Zettel.

Nach und nach kommen die Kinder in die Klasse und können nicht glauben, was sie da sehen. Langsam öffnen sie die Kuverts und auf ihren Gesichtern erkennt man ein breites Lächeln, als sie die Botschaften lesen. Der Raum ist mit einer besonderen Stimmung erfüllt – genauso wie unterm Christbaum im Wohnzimmer von Niklas, wenn die Kerzen brennen und alle Weihnachtslieder singen.

„Was steht denn auf deinem Zettel?“ Plötzlich steht Fred vor Niklas‘ Tisch und zeigt ihm stolz sein Kuvert. Bei mir steht ‚Du bist toll, weil du andere tröstest, wenn es ihnen schlecht geht.‘ Und bei dir?“

Niklas‘ Herz rast! Was soll er jetzt machen? Auf seinem Zettel steht doch nichts! Er will schon gestehen, dass er hinter all dem steckt, da nimmt Fred schnell sein Kuvert vom Tisch und macht es auf. „Halt!“, schreit Niklas, doch es ist zu spät. Sein Freund hat den Zettel schon in der Hand. Langsam liest er Niklas‘ Zettel vor, auf dem in goldenen Buchstaben steht: „Du bist ein ganz besonderer Junge, weil du anderen Menschen Freude schenkst.“

Conny Strumberger-Sellner ist Editorin, Ghostwriter und Autorin. Außerdem ist sie Trainerin der Ghostwriting Academy sowie Chefredakteurin der DBZ.

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