Anna und der sprechende Teddybär
von Conny Sellner
von Conny Sellner
Was gefällt dir an Weihnachten am besten? Die Ferien? Die vielen Geschenke? Das tolle Essen? Oder der Schnee? Für Anna gehört zu einem gelungenen Weihnachtsfest vor allem eines: eine nette Unterhaltung mit ihrem besten Freund, dem Teddybär Brummi.
„Seit wann kann ein Teddybär sprechen und was hat das Ganze mit Weihnachten zu tun?“, fragst du dich? Das will ich dir verraten.
Die Geschichte dazu beginnt zwei Jahre zuvor. Damals war Anna fünf Jahre alt und freute sich wie immer unheimlich über die Adventszeit, in der sie mit ihren Eltern den Weihnachtsmarkt besuchte und eine Runde mit dem Ringelspiel fahren durfte. Zusammen mit ihren Freunden im Kindergarten bastelte sie außerdem einen Wunschzettel ans Christkind, den sie mit vielen Goldsternen verzierte und eine Woche vor Weihnachten auf das Fensterbrett im Wohnzimmer legte. In der Hoffnung, dass das Christkind ihn über Nacht abholen würde. Und tatsächlich! Am nächsten Morgen war der Zettel verschwunden und damit die Chance groß, dass Anna ihre Barbie mit dazu passendem Pferd bekommen würde. Das Mädchen war außer sich vor Freude und konnte es kaum noch erwarten, bis Weihnachten kam. Sechs Tage noch! Wie sollte sie das aushalten und vor allem: Womit sollte sie bis dahin spielen? Unglücklich sah sie sich in ihrem Zimmer um.
Du denkst jetzt, dass Anna wirklich nichts zum Spielen hatte? Weit gefehlt! Alle Regale in ihrem Zimmer waren bis oben hin voll mit Spielsachen, auch in den Schubladen fand sich kaum noch Platz und in der Ecke türmten sich über 20 Kuscheltiere, die Anna schon seit Monaten nicht mehr angesehen hatte. Obwohl das Mädchen so viele Spielsachen besaß, war es unglücklich. Das bemerkte auch Brummi, ein Teddybär, den Anna zu ihrem zweiten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und der die letzten Jahre stets an ihrer Seite war: Im Kindergarten, beim Einkaufen und auf dem Spielplatz – nirgends durfte Brummi fehlen. Er war Annas bester Freund … bis, ja bis ihre Freundin Michelle meinte, nur Babys würden mit Teddybären spielen. Das machte Anna traurig – sie war schließlich kein Baby mehr! Also legte sie Brummi schweren Herzens in die Ecke zu den anderen Kuscheltieren, wo er nun schon sehr lange aus der Ferne zusehen musste, wie Anna immer größer wurde.
Besonders schlimm war das vergangene Weihnachtsfest, bei dem Brummi das erste Mal nicht auf Annas Arm dabei sein durfte, als das Mädchen vor dem funkelnden Christbaum stand und seine Geschenke auspackte. Wenn er daran dachte, wurde ihm immer noch ganz schwer um sein kleines Bärenherz. Deshalb hatte er für heuer einen ganz großen Wunsch: Er bat das Christkind um ein paar Minuten, in denen er mit Anna reden konnte, um ihr endlich anvertrauen zu können, wie er sich fühlte. In der Hoffnung, dass er danach wieder ihr bester Freund sein dürfte.
Die Tage bis Weihnachten vergingen also nicht nur für Anna in Zeitlupe, auch für Brummi war das Warten fast unerträglich. Endlich war es so weit: Das letzte Kästchen des Adventkalenders wurde geöffnet – nur noch wenige Stunden bis zur Bescherung. Brummi war mindestens genauso aufgeregt wie Anna. Schließlich wusste er nicht, ob das Christkind ihm seinen Wunsch erfüllen würde. Immer wieder probierte der Teddybär aus, ob er schon sprechen könnte, aber aus seinem flauschigen Mund kam leider kein Wort. Langsam wurde es dunkel und alle warteten andächtig auf das Klingeln der Glocke. Anna lag auf ihrem Bett und zappelte ungeduldig hin und her. Sie war so nervös, dass sie mit ihrer Ferse gegen die Wand klopfte und dabei nicht bemerkte, dass die große Eule aus Glas, die auf dem Regal über ihrem Bett stand, durch das Klopfen immer weiter an den Rand wanderte. Brummi beobachtete das Ganze besorgt aus seiner Ecke und hoffte, dass endlich die Glocke klingeln würde. Dann würde Anna nämlich aufstehen und wäre nicht mehr in Gefahr. Doch es war nichts zu hören. Stattdessen näherte sich die Glas-Eule bedrohlich dem Rand des Regals. Nur noch wenige Zentimeter und sie würde direkt auf Annas Kopf fallen. Brummi wollte Anna warnen, aber wie? Sein kleines Bärenherz schlug wie verrückt und er konnte kaum hinsehen. Da! Der gläserne Vogel war am Rand angekommen und kippte nach vorn.
„Vorsicht, Anna!“ Das Mädchen schreckte hoch und sprang augenblicklich vom Bett auf, während die schwere Glas-Eule auf ihren Kopfpolster fiel. Das war knapp! Anna zitterte. Als der erste Schreck vorbei war, sah sie sich im Zimmer um. „Wer hat da gerufen?“
„Das war ich, Anna.“ Aus der Ecke drang eine sanfte, tiefe Stimme. „Brummi? Bist du das?“ Anna ging vorsichtig auf den Kuscheltierhaufen zu. Ihr Teddybär sah sie mit großen Kulleraugen an und brummte: „Ja. Ich habe mir vom Christkind gewünscht, dass ich sprechen kann, um endlich wieder dein Freund zu sein.“ Eine Träne kullerte über Annas Wange. Sie nahm den kuscheligen Bär in ihre Arme und drückte ihn fest an sich: „Du hast mich gerettet! Ich danke dir so sehr!“ Brummi konnte sein Glück kaum fassen und erzählte Anna alles, was ihm auf dem Bärenherzen lag. Die zwei waren so ins Plaudern vertieft, dass sie die Klingel vom Christkind gar nicht hörten. Sie wurden erst unterbrochen, als Annas Mama ins Zimmer kam. „Das Christkind ist da. Wo bleibst du?“ Anna wollte schon loslaufen, da fiel ihr etwas Wichtiges ein: „Du kommst mit!“, sagte Anna zu Brummi, „Ohne dich macht es keinen Spaß!“ Nun schlug Brummis Herz erneut wie verrückt – diesmal jedoch vor Glück.
Auf Annas Arm durfte er sehen, wie herrlich der Christbaum geschmückt war und wie sich Anna über ihre Geschenke freute. Kurz hatte der Teddybär Angst, dass sie ihn wegen ihrer neuen Barbie wieder in die Ecke legen würde, doch seine Sorge war unbegründet. Als sie zurück ins Zimmer kamen, konnte Brummi zwar nicht mehr sprechen, aber das änderte nichts an ihrer Freundschaft.
Und an jedem Weihnachtsfest, kurz vor dem Klingeln der Glocke, bekommt Brummi vom Christkind für ein paar Minuten seine sanfte, tiefe Stimme, um Anna jedes Jahr aufs Neue zu sagen: „Ich hab dich lieb!“
Conny Strumberger-Sellner ist Editorin, Ghostwriter und Autorin. Außerdem ist sie Trainerin der Ghostwriting Academy sowie Chefredakteurin der DBZ.