Oma Frieda und das Igelheim

von Thomas Hennig

Der Wind bläst ums Haus und es wird langsam wieder kälter. „Die Sommer werden auch immer kürzer“, denkt sich Oma Frieda, als sie die ersten Hagebutten für den Türkranz vom Strauch schneidet. Ein starker Windstoß reißt sie aus ihren Gedanken. Jetzt hat sie sich mit der Weste, die ihr ihre Enkelin Viktoria zum letzten Weihnachtsfest gestrickt hat, in den Dornen verfangen! Ganz vorsichtig befreit sie sich wieder. Nix passiert. Alles gut gegangen. Der Wind treibt die Blätter übers Land und fegt die Wärme aus Hecken und Wiesen, und es gibt schon den ersten Reif in der Früh. Dann sieht die Landschaft aus, als hätte der Bäcker aus dem Ort sein Mehl verstreut. Die Wiesen und Bäume sind mit einem leichten weißen Schleier bedeckt. Wenn die Sonne aufgeht, löst sich dieses magische Bild wieder auf. Ach ja, es wird langsam Zeit, den Garten auf den Winter vorzubereiten.

Wenn der Wind so pfeift, kommen viele Erinnerungen an den letzten Winter auf, den Oma Frieda auf dem Großglockner verbracht hat. In einer Hütte, kurz vor dem Hochtor. Da ist es schon im Oktober so kalt, dass der erste Schnee fällt und auf den Almen auch liegen bleibt. Der Winter dort oben ist lang. In manchen Jahren bis weit in den Mai hinein. Es dauert, bis die Zivilisation auf dem Berg wieder Einzug hält, bis das Leben erwacht und die Murmeltiere wieder ihre Köpfe aus dem Bau strecken.

Brrr, Oma Friedas Finger werden gleich kalt. Schnell ins Haus und schon mal einen Tee aufgesetzt. Mit Salbei und Minze aus dem eigenen Garten, mit viel Honig vom Nachbarn. Er ist Imker und spendiert immer ein paar Gläser im Tausch gegen Friedas hausgemachte Marmeladen.

Gut, dass Maximilian, Friedas Enkel, heute vorbeikommt. Es wird Zeit, die letzten Hecken zu schneiden und das Laub im Garten zusammenzutragen. Die Igel brauchen einen Platz zum Überwintern. Äste, Blätter und der Strauchschnitt schaffen ein wohlig warmes Heim für viele Tiere. Max baut jedes Jahr die Laub- und Heckenhöhlen. Als er noch klein war, immer zusammen mit Oma Frieda. Mittlerweile macht er es allein, und darauf ist er stolz. Seine Oma hat ihm vieles beigebracht. Vor ein paar Jahren sah Maximilian im Frühjahr einen braunschwarzen Igel aus so einem Laubhaufen kommen. Es schien, als reckte und streckte er sich nach dem langen Winterschlaf. Er schnupperte die klare Frühjahrsluft und schaute zu Max, als ob er ihn begrüßen und sich für das kuschelige Bett bedanken wollte. Zumindest stellte sich Friedas Enkel das so vor. Seit damals baut Max diese Winterquartiere mit noch mehr Herz und Leidenschaft.

Ehrlich gesagt ist das nur ein Grund, warum er sich so gerne um die Igelheime kümmert. Der andere ist Oma Friedas Kuchenjause nach getaner Arbeit. Während Max im Garten werkt, bäckt sie einen Gugelhupf. Und dieser Gugelhupf ist genial! Oma Frieda nimmt dafür:

280g Mehl

170g Butter

140g Staubzucker

4 Dotter

4 Eiklar

Rosinen und Mandeln

Dazu noch ein Packerl Backpulver.

Butter, Zucker und Dotter schaumig rühren. Mandeln und Rosinen noch dazu, ganz nach Belieben. Mehl und Backpulver zusammen sieben und abwechselnd mit dem steif geschlagenen Eiklar vorsichtig unterheben. Dann bei 180 Grad ab in den Ofen.

Oma Frieda erzählt gerne, dass schon die Freundin von Kaiser Franz Josef, die Schauspielerin Katharina Schratt, den Gugelhupf so gebacken haben soll. Das ist aber gar nicht so wichtig. Er riecht einfach süß und duftig. Irgendwie schmeckt er nach Wohlfühlen und Geborgenheit.

Langsam sinkt die Sonne und der Herbstwind frischt deutlich auf. Maximilian ist fast fertig, als Oma Frieda das Küchenfenster öffnet und ihren Enkel hereinruft. Der Duft von Zucker und Rosinen verbreitet sich im Garten und lockt zur Jause. Da geht die Arbeit für Max gleich noch schneller von der Hand. Noch die letzten Äste auf das Laub, damit die Winterwinde es nicht gleich wieder auseinandertreiben. Die Finger sind schon ein wenig klamm geworden, doch bei Tee und Gugelhupf werden sie rasch wieder auftauen.

Also hurtig in Omas wohlige Küche! Sie hat sicherlich wieder eine neue Abenteuergeschichte parat. Das ist auch so ein Grund, warum nicht nur Oma Friedas Enkelkinder gerne zu ihr kommen.

Mal schauen, was sie dieses Jahr Spannendes erzählen wird. Vielleicht vom Winter auf der Hütte auf dem Großglockner. Eigentlich ist es aber auch egal. Schön wird es sicher!

Thomas Hennig ist Autor, Ghostwriter und Unternehmensberater.
Wenn er nicht gerade Geschichten über seine Großmutter bzw. Mutter in Personalunion als Oma Frieda schreibt, nimmt er sich gern Themen aus Wirtschaft, Finanz, Politik und der Lebensbetrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln an.

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Foto: Daniel Willinger | dwphoto.at