Fiumicino Diaries, Teil 3
Haare auf den Zähnen, Fisch im Bauch
Und ja, wir sind immer noch am ersten Tag. Das Einchecken war überraschend problemlos, unsere Alessia hat sich ihren Titel „Superhost“ mehr als verdient!
Sogar für Knabberzeug hat sie gesorgt! Wer mich kennt, weiß allerdings zwei Dinge über mich:
a) ich esse seit Monaten kaum Kohlenhydrate.
b) wenn ich hungrig bin, werde ich zu Mrs. Hyde. „Hangry“ wurde nach mir benannt. Nach einem ganzen Tag ohne Essen hat sich das Machtgefüge nun also verschoben. Moni ist wieder entschärft, dafür bin ich eine tickende Hungerbombe. Was läge also näher, als um 22:43 zur Lokalsuche aufzubrechen? Blöd nur, dass fast alle Lokale um 23:00 zusperren …
Moni beobachtet nun mich besorgt aus dem Augenwinkel, während wir die paar Meter zur Strandpromenade zurücklegen. Ein paar Meter, auf denen — das muss gesagt werden — ich dreimal nur knapp davon abgehalten werden kann, meinen Flughafenflug zu wiederholen. Für den war eine wegstehende Verkleidung verantwortlich gewesen. Jetzt kann ich mich nur auf Kompressionen auf der Asphaltpiste ausreden. Und ungerecht schwankende Gehsteigkanten. Nein, ich hab nichts getrunken, bin nur ein bisschen müde.
So, Promenade erreicht. Linker Hand eine Bar. Das beste Weib von allen verweigert. „ Na geh, komm! Echt ned!“ Daneben ein Fischlokal. „Zu schick für uns!“ Ich schaue an meinem neonfarbenen T-Shirt und der Fetzenhose hinunter und stimme kleinlaut zu.
Ich habe auf der Promenade Verhältnisse wie in Lignano und Tschessolo erwartet — und werde positiv überrascht. Ein paar Familien schlendern herum, auf gmiadlich. Keine Touristen. Nur Einheimische. Italienisch laut, aber mit Stil.
Irgendwie ist da alles in den Achtzigerjahren stehengeblieben. Die Strandbars, die Lokale … leider auch die Öffnungszeiten. Wirklich 23:00!
Doch da, wie ein leuchtender Nordstern taucht es vor uns auf: Giorgio irgendwas. Das hab ich im Internet gefunden! Geöffnet bis 23:30! Hurra!
Meine Holde bremst meinen Enthusiasmus: „Cucina bis 23:00, es is zehn vor!“ Pah, man unterschätze niemals eine hungrige Lisa! Bevor mir Moni Einhalt gebieten kann, stürme ich die Hütte. Die blonde Kellnerin schaut aus, als hätte sie Haare auf den Zähnen, die hat sicher das Sagen da!
Ich hole also meinen Blick heraus, den ich für genau solche Einsätze trainiert habe. Den sogenannten Hungriger-Dackel-Blick. Und so trällere ich in schlimmstem Italienisch: „E possible mangiare oggi?“ Sie taxiert mich, erkennt den Ernst der Lage und rattert los. Als sie Luft holt, nutze ich meine Chance. Dass ich nichts verstanden habe, liegt klar in der Luft. Ich so, mit meinem besten Augenaufschlag: „Si, avanti?“ Sie grinst: „Veloce, veloce!“ „Mille grazie!“
Und weg ist sie. Wir checken uns den am nächsten liegenden Tisch, krallen uns eine Speisekarte und starren drauf. Schnell, schnell! Ich komme gerade bis „fritto misto“, da ist sie schon wieder da. Etwas hektisch. „Allora?“
Vorspeisenplatte kann nicht falsch sein, denke ich. Moni stimmt zu. Also due. Gute Wahl, meint sie. Daumen hoch! „E poi?“ Okay. Das ist dann wohl gut, aber nicht viel. Schnell, schnell! „ Fritto misto, per favore!“ Wir entschließen uns, die Hauptspeise zu teilen. Und Pommes. Und Salat. Sie nickt zufrieden und zischt ab.
Drei Minuten später knallt sie uns ein Sackerl auf den Tisch. „Prego!“
Oh! Das ist zum Mitnehmen! Dann müssen wir das bestellte Wasser schnell austrinken. Schnell, schnell!
Moni ist skeptisch. „Sie hat uns Besteck gegeben. Ich glaube nicht, dass wir es mitnehmen müssen!“ Hm. Gutes Argument!
Während wir auf unser Essen warten, passiert was in mir. Etwas, das ich zuerst nicht gleich erkenne. Ein bedingungsloses Gefühl des Glücks breitet sich in mir aus wie geschmolzene Schokolade auf einem weißen Tischtuch an einem heißen Sommertag. Zufriedenheit, Glück und ein Gefühl von Angekommensein. Nicht nur im wörtlichen Sinn.
Gleich darauf bewahrheitet sich Monis Vermutung: Zwei riesige Teller voller verschiedener grandioser Fischspezialitäten werden vor uns abgeladen. Ich schnappe nach Luft. DAS ist die Vorspeise? Nein, ist sie nicht, stellt sich kurz darauf heraus. Zumindest nicht die ganze! Denn nun landet noch ein Teller mit Cozze daneben. Für uns beide gemeinsam.
Moni gibt sich kurz der Hoffnung hin, dass die hier unter „fritto misto“ laufen, aber diesen Hoffnungsschimmer muss ich gründlich zerstören. „Wo waratn denn dann die Pommes und der Salat?“
Wir essen vorsichtig mit dem Hintergedanken, dass da noch Hauptspeise kommt. Aber am Ende sind beide Teller ziemlich abgefressen.
Ich schicke ein Dankgebet gen Himmel, dass wir nur eine Hauptspeise haben … und dann ist sie auch schon da. Eine Platte mit den feinsten frittierten Fischen.
Und eine Schüssel Salat.
Und Pommes.
Nicht nur, dass wir uns nicht sagen trauen, dass wir nicht mehr können — ich sag nur „Haare auf den Zähnen!“ — wäre es auch ewig schade, nicht weiterzufuttern.
Allein bei dem Anblick tut sich in meinem Magen die Abteilung auf, die normalerweise nur für Kuchen reserviert ist, und es geht noch ein bisschen was. Und noch was. Und noch was.
Und so kommt es, dass an diesem Abend meine „no carbs“-Regel einer Limoncello-Regel weichen muss.
Irgendwann, eine gefühlte Stunde später, wanken wir leicht beschwipst, etwas überfressen und definitiv glücklich die Promenade entlang zu unserem Apartment. Langsam, langsam! Die Entschleunigung setzt ein, wir haben Italien im Blut und im Magen. Und damit habt ihr unseren ersten Tag überstanden.
Lisa Keskin ist
Autorin, BuchMacherin,
Leiterin der Ghostwriting Academy
und Schreibcoach