Krampus, Krampus
von Kerstin Renner
von Kerstin Renner
Betti ist das bravste Mädchen der Schule. Sie arbeitet mit Freude im Unterricht mit und zeigt auf, wenn sie etwas zu sagen hat. Die Siebenjährige ist hilfsbereit, hat immer ein Lächeln auf den Lippen und bringt ihre Hausübungen ausnahmslos pünktlich, sogar mit Zierleiste.
Aufmerksam hört sie ihren Mitschüler:innen zu, wenn diese in der großen Pause am 5. Dezember über den Krampus sprechen. Aussagen wie „Wenn du nicht brav bist, kommt der Krampus und nicht der Nikolaus zu dir“ sind keine Seltenheit. In ihrer Klasse gibt es nämlich einige Kinder, die gerne Scherze machen und längst nicht so still sind wie sie. Bei Maximilian kann sie sogar Schweißperlen von seiner Stirn tropfen sehen, wenn er das Wort „Krampus“ in den Mund nimmt.
Betti ist die Ruhe in Person, denn sie ist sich sicher, das ganze Jahr über brav gewesen zu sein. Sie will also versuchen, mit dieser Schreckgestalt in Kontakt zu treten, denn sie kann sich einfach nicht vorstellen, dass jemand so böse ist, wie es in den vielen Krampus-Geschichten erzählt wird.
Also legt sie sich am Abend des 5. Dezembers auf die Lauer. Es dauert nicht lange, bis sich der Krampus draußen vor dem Küchenfenster mit lautem Kettenrasseln ankündigt. Sie öffnet die Tür und sieht ihn. Sein Fell ist total zottelig und von seinem Gesicht ist nicht wirklich etwas erkennbar. Zwei Hörner auf seinem Kopf kann sie allerdings sehen. In seiner Hand hat er eine Weidenrute.
Sie nimmt all ihren Mut zusammen, öffnet die Tür und fragt ihn, warum er den schlimmen Kindern denn Böses wolle?!
Daraufhin ist der Krampus etwas verdattert und antwortet mit seiner tiefen Stimme: „Ich? Ich liebe Kinder und bin begeistert von ihrer Kreativität bei den Scherzen.“
Als Betti ihn weiter fragt, wie es dann zu diesen Gerüchten komme, erzählt ihr der Krampus seine Geschichte, die traurig und fröhlich zugleich war. Früher war er sehr einsam und voller Zorn, doch durch seinen besten Freund, den Nikolo, hat er wieder die schönen Seiten des Lebens entdeckt.
Daraufhin schmiedet Betti einen Plan. Sie will die Geschichte vom Krampus unbedingt verbreiten. Es solle niemand mehr Angst vor diesem netten Geschöpf haben.
Am nächsten Tag hat jeder Bub und jedes Mädchen ihrer Klasse einen Brief auf dem Platz liegen. Der Inhalt war ein Gedicht, welches von Betti geschrieben wurde. Es fasst die Geschichte vom Krampus zusammen:
Liebe Leute groß und klein,
wie schön ist es, in einer Freundschaft zu sein.
Lange Zeit bin ich umhergestreunt,
doch nun habe ich endlich einen besten Freund.
Ich war sehr einsam und traurig,
diese Zeit war schaurig.
Sobald die Kinder mich sahen,
liefen sie schreiend davon in Scharen.
Doch dann kam er in mein Leben.
Was konnte es Besseres geben?
Ich bin dunkel und er ist hell,
liebevoll streichelt er öfters über mein Fell.
Dafür kämme ich manchmal seinen Bart,
denn jedes Haar ist besonders zart.
Am liebsten essen wir beide Mandarinen,
manchmal auch Striezel, aber ohne Rosinen.
Nüsse mag ich nicht so,
daher wandern diese in den Bauch vom Nikolo.
Schokolade lieben wir,
ich bin mir sicher, die schmeckt auch dir.
So stellen wir unsere Geschenke zusammen,
damit du sicher weißt, wo sie herstammen.
Kinder liegen mir sehr am Herzen,
ich freue mich schon drauf, wenn wir miteinander scherzen.
Fühl dich umarmt,
dein Krampus
Nachdem ihre Mitschüler:innen die Zeilen gelesen haben, geht Erleichterung durch den Raum. Betti schaut zu Maximilian und sieht, dass er das erste Mal ein Lächeln auf seinen Lippen hat, wenn er das Wort Krampus in den Mund nimmt. Die Klasse beschließt, den 5. Dezember in Zukunft zu feiern und Geschenke für den Krampus zu basteln. Denn sie wollen ihn nun unbedingt kennenlernen, ihn umarmen und mit ihm scherzen.
Kerstin Renner ist Autorin, Ghostwriter und Mentaltrainerin.
Sie ist Lebensfreude in Person.