Oma Frieda auf dem Hundeschlitten
von Thomas Hennig
von Thomas Hennig
Auf dem Hundeschlitten durchs Eis
Oma Frieda sitzt – wie so oft – gemütlich in ihrem großen Ohrensessel vor dem Kamin. Viktoria und Maximilian, ihre beiden Enkel, sind heute zu Besuch. Es ist ein wunderschöner Wintertag und draußen liegt dick und ruhig der Schnee. Im Kamin knackt das Holz und die Flammen tanzen fröhlich vor sich hin. Aus der Küche duftet es nach Bratäpfeln. Heute gibt es Bratäpfel zum heißen Kakao. Oma macht sie nach einem alten Rezept mit sauren Äpfeln aus ihrem Garten, viel Honig und Nüssen. Die Nüsse werden in der Pfanne angeröstet, dann kommt zerlassener Zucker dazu und alles wird in die ausgehöhlten Äpfel gefüllt. Die gefüllten Äpfel werden rasch, damit die Nussfüllung nicht auskühlt, in einer Backform ins Rohr geschoben und bei etwa 220 Grad für 20 Minuten gebraten. Das ist genug Zeit für eine von Omas Geschichten. Wie etwa die, als sie in jungen Jahren einmal mit einem Hundeschlitten unterwegs war.
Es ist eine jener langen Polarnächte, die Frieda schon gut kennt. Schließlich ist sie bereits das dritte Mal im hohen Norden. Dieses Mal will sie mit dem Hundeschlitten zu einem Hotel aus Eis reisen. Friedas Reise war bisher recht anstrengend, deshalb freut sie sich, jetzt ihre Freundin Stina, eine Hundeführerin, zu treffen. Stina und die Hunde warten schon, als Friedas Zug in den Bahnhof einfährt. Die Sonne ist schon lang wieder hinter dem Horizont verschwunden und die Kälte trifft Frieda wie ein Schlag ins Gesicht. Sie hat ganz vergessen, wie eisig es jenseits des Polarkreises ist, wenn nur noch die Sterne und der Mond den Weg weisen. „Es wird eine klare Nacht. Der Schnee ist gut und wir werden schöne Tage haben“, begrüßt Stina sie. Die beiden Freundinnen umarmen sich ausgiebig. Als sie die Ortschaft verlassen, glitzert der Schnee im spärlichen Licht. Die Hunde laufen, was das Zeug hält. Sibirische Huskys laufen gerne, sie sind richtige Arbeitstiere. Selbst so dick und warm angezogen beginnt Frieda langsam zu frieren. Aber es ist nicht mehr weit. Nur noch über den zugefrorenen See und dann sind sie da. Zuerst das ganze Gepäck ins Haus, dann die Hunde abspannen und den Schlitten verstauen.
Als sie das Haus betreten, riecht es nach Kiefernholz, das langsam im Ofen brennt. Auf dem Ofen steht eine Kanne Kaffee. Wie könnte es hier oben in Schweden auch sonst sein? Der Kaffee wird hier direkt in der Kanne gekocht. Er ist stark und wärmt, das ist wichtig bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Zu essen gibt es Rentiereintopf. Rentier schmeckt in etwa wie Hirsch oder Reh. Danach geht es ab ins warme Bett, denn morgen ist ein langer Tag.
Ganz zeitig in der Früh sind die jungen Frauen schon aufgestanden und bereiten die Schlitten vor. Frieda bekommt einen Schlitten mit sechs Hunden. Es ist gar nicht so einfach, die Ausrüstungen zu verzurren. Die Seile sind von der eisigen Nacht steifgefroren und lassen sich nur schwer binden. Es dauert fast eine ganze Stunde, bis endlich Schlafsack, Decken, Futter für die Hunde, Feuerholz und die Ersatzteile verstaut sind. Die Luft ist frisch und klar, als Frieda und Stina sich auf den Weg machen. Sie werden gut zehn Stunden durch die unendlichen, verschneiten Ebenen unterwegs sein. Die Hunde laufen los. Die Kufen der Schlitten gleiten über den hartgefrorenen Schnee. Eiskristalle tanzen im Licht der Lampen, die sie mitgenommen haben. Der durch die Hunde aufgewirbelte Schnee legt sich wie ein leichter Schleier auf die Ausrüstung. Es sieht aus wie eine Decke aus hunderttausend Sternen. Je länger sie unterwegs sind, desto freier und wohler fühlt sich Frieda. Die Hunde werden zu ihren Begleitern. Es geht durch eine fast märchenhafte Landschaft. Das schwache Licht lässt Bäume wie Elfen und Trolle erscheinen. Der vom Wind glattpolierte Schnee liegt meterhoch. An manchen Stellen lässt sich nicht sagen, ob hier im Sommer Gras wächst oder sich hier ein See befindet. Die Bäume tragen dicke Schneehauben. Rentiere und Elche kreuzen ihren Weg. Abends erreichen sie nach einem Tag voll fantastischer Eindrücke das ersehnte Hotel im Eis. Es ist grandios. Hier kann man wie in einem Iglu übernachten. Jedes Jahr im Winter wird dieses Hotel neu aufgebaut. Die steigenden Temperaturen im Sommer lassen das Eis dann wieder schmelzen. Ein Zeichen der Vergänglichkeit, aber auch des ständigen Wiederaufbaus und der Schaffensfreude. Es ist also jedes Jahr neu und anders. Künstler aus der ganzen Welt kommen hierher und gestalten die Zimmer. Man kann hier wirklich in einem Zimmer aus Eis, auf einem Bett aus Eis, schlafen. Das wird eine interessante Nacht! Nachdem die beiden Gespanne versorgt sind, beziehen die jungen Frauen ihr Zimmer. Das Bett ist mit Rentierfellen belegt. „Feuer kann man hier im Hotel nicht machen“, denkt sich Frieda noch, bevor sie sich in ihren dicken, warmen Schlafsack einhüllt und müde einschläft.
Nach dem Aufstehen gibt es erst einmal einen Becher heißen Preiselbeersaft; der wärmt von innen und macht die kalt gewordenen Glieder wieder beweglich. Gestärkt von einem ausgiebigen Frühstück, treten Frieda und Stina ihre Rückreise an. Die Hunde haben die Nacht gut überstanden und freuen sich schon aufs Laufen. Sie kommen gut voran und bald schon erblicken sie das Licht der Hütte. Es gab auf dem Heimweg keinen Wind und es hat auch nicht geschneit. Das war gut, sonst hätte die Reise wohl länger gedauert.
Als sie das Haus betreten, ist es warm. Es riecht nach Kiefernholz und Kaffee. Aber da ist noch was anderes. Irgendetwas erinnert Frieda an zu Hause. Ein Hauch von Apfel, Nüssen und Vanille liegt in der Luft. Matti, Stinas Mann, hat zur Feier des Tages für die Heimkehrer etwas Besonderes gemacht: Bratäpfel!
Inzwischen erfüllt das Bratapfelaroma auch Oma Friedas Haus. Omas kleines Küchengeheimnis: Kurz bevor die Äpfel fertig sind, gießt sie noch ein wenig Honig darüber. Je nach Geschmack kann man stattdessen auch Vanillezucker verwenden. Man kann die fertigen Bratäpfel fast schon schmecken. Rasch noch einen guten, heißen Kakao mit viel Schokolade gemacht. Oma Frieda und ihre Enkelkinder sitzen rund um den kleinen Küchentisch, genießen das wunderbare Mahl und freuen sich schon auf weitere Geschichten. Aber jetzt erst einmal noch ein Scheit Holz nachlegen, in die warmen Decken kuscheln und einschlafen.
Diese beiden Fotos hat Thomas Hennig auf seiner Reise gemacht.
Thomas Hennig ist Autor, Ghostwriter und Unternehmensberater.
Wenn er nicht gerade Geschichten über seine Großmutter bzw. Mutter in Personalunion als Oma Frieda schreibt, nimmt er sich gern Themen aus Wirtschaft, Finanz, Politik und der Lebensbetrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln an.
Hier findest du sein Ghostwriterprofil.
Foto: Daniel Willinger | dwphoto.at