MLD MLC XMAS
Jolande Peck-Himmel
Jolande Peck-Himmel
Freitag, Nachmittag, Anfang Juli:
„Wünsche dir ein schönes Wochenende!“, trällert meine Chefin, während ich gerade meinen Rucksack zusammenpacke. „Es soll ja mindestens 36 Grad bekommen. Gehst du baden?“
„Ja, vielleicht. Schönes Wochenende!“, sage ich und beeile mich noch mehr, um schnell aus dem Büro zu kommen. Aber wenn die Chefin einmal angefangen hat zu reden, hört sie auch so schnell nicht wieder auf. Schon geht es weiter: „Du kannst dir ja schon mal ein paar Motive für die Charity-Weihnachtskarten überlegen! Lange Zeit lassen können wir uns nicht mehr, es ist jetzt Anfang Juli. Diese Spendenorganisationen kommen immer auf den letzten Drücker drauf, dass am 24. Dezember Weihnachten ist. Du, beim Schwimmen habe ich oft die besten Ideen gehabt!“
„Na dann geh du doch schwimmen!“, denke ich mir und lächle so freundlich es nur geht. Seit einer Woche mache ich hier Praxis, nicht einmal Taschengeld bekomme ich. Denn es sei eine Ehre in dieser angesagten Werbeagentur tätig zu sein – erst recht ohne Bezahlung! Ich würde weggehen wie eine warme Semmel, wenn jemand den Namen dieser (!) Agentur in einem meiner zukünftigen Bewerbungsschreiben lesen würde. Ja so sei das, und deswegen bräuchte man mich auch nicht entlohnen – es sei Lohn genug, dass sie gerade mich genommen hätten. Ich sei gerade mal 16 Jahre alt, und ich könne mein ganzes langes Berufsleben lang davon zehren, haben sie beim Vorstellungsgespräch betont.
Samstag, Morgen:
SMS von meiner Chefin: „Habe gerade meine Freundin von Glamour-PR getroffen. Sie meint, Dackel mit hübschen Karodecken oder Katzen mit roter Weihnachtsmann-Mütze wären voll im Trend. Bin schon so gespannt auf deine Vorschläge – wenn geht am Montag, okay? Danke dir, du bist die Beste! Have a cool weekend and stay fresh. Zwinker-Emoji, Weihnachtsbaum Emoji, Dackel Emoji und ja auch noch ein Katzen Emoji.
Bitte kann sie das lassen mit der Jugendsprache, so redet doch keiner mehr! Die Frau geht mir sowas von auf den S…, und erst ihre PR-Freundin. Die sieht das ganze Jahr aus wie ein angemalter, behängter Weihnachtsbaum. Und dauernd sind sie auf Männerfang. Igitt, ist das grauslich. Warum mache ich das eigentlich? Noch drei Wochen muss ich in der Agentur aushalten, dann habe auch ich endlich Sommerferien. Und jetzt soll ich mir auch noch über Weihnachten Gedanken machen. Ich hasse Weihnachten!
Ich bin für das Projekt „My little dog. My little cat.“ verantwortlich. Abgekürzt MLD.MLC., weil so viel Zeit haben wir in der Werbebranche nicht. Alles muss abgekürzt werden. MLD.MLC. brauchen Weihnachtskarten, die sie dann an Firmen weiterverkaufen. Mit dem Geld versorgen sie streunende Katzerl und Hunderl, man kann eine Patenschaft für ein Viecherl übernehmen, und darf auch streicheln kommen, wenn man will. Es komme niemand, erzählte die Frau, die den Spendenverein ins Leben gerufen hat. Die Leute hätten keine Zeit mehr, sie würden lieber Geld einwerfen, anstatt mit den Süßen zu kuscheln.
Sonntag, den ganzen Tag:
Es hat 36 Grad im Schatten, mindestens. Meine Freundin und ich sind baden, im Schönbrunner Bad. Da sind die süßesten Jungs, keine Alten und wenig nervige Kinder.Unser Lieblingsbad. Ich sage zu meiner Freundin, dass sie mir helfen muss, Weihnachtskarten zu entwerfen.
Sie kriegt sich nicht ein vor Lachen. „Ich hol uns mal einen schönen, coolen Aperol-Spritz! Vielleicht mit Zimtstangerl zur Einstimmung?!“ Sie ist nicht mehr zu bremsen.
Laura liebt Weihnachten, allerdings nicht im Sommer. Laura kommt aus einer großen Familie, also aus einer Großfamilie. Sie reisen von überall aus Österreich an, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Dann singen sie Weihnachtslieder, backen Weihnachtskekse, schmücken einen riesigen Weihnachtsbaum, trinken Weihnachtspunsch, essen Weihnachtsbraten und erzählen sich Weihnachtsgeschichten beim Weihnachtsspaziergang. Weihnachten überall …
Mir wird schlecht, wenn ich nur an Weihnachten denke – oder andere Feste. Meine Eltern leben in Scheidung, es ist nicht schön. Sie bemühen sich, aber Weihnachten wird nie wieder sein wie früher. Ich bin einmal dort, einmal da. „Du bist ja schon eine Große. Du brauchst ja eh keinen Baum mehr, gell? Die Kekse isst du ja auch nicht, weil du nicht zunehmen willst, also wozu sollen wir daheimbleiben und den ganzen Aufwand betreiben? Mit dem Papa fliegst du nach Florida und mit mir gehst Schifahren. Wir geben dir einfach Geld und du kaufst dir, was immer du willst. Okay? Das ist doch das Beste für dich!“
Nichts ist okay! Das ist gar nicht das Beste für mich! Jetzt, Anfang Juli, steht Weihnachten vor der Tür – mit Katz und Hund. Ich brauche herzige Motive, die den Menschen Geld aus der Tasche ziehen.
Wenigstens der Aperol schmeckt sehr gut. Läuft hinunter wie Limo, finden wir.
MLD.MLC. MLD.MLC. – uns fällt nichts ein. MLD.MLC. MLD. MLC.
MLD.MLC. MLD.MLC. – uns fällt nichts ein. MLD.MLC. MLD. MLC.
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Letzter Julitag, Abend:
Es ist vollbracht. Ich habe es geschafft. Der letzte Arbeitstag in der super Werbeagentur ist vorbei. MLD.MLC. ist abgeschlossen, alle sind happy!
Zu Weihnachten:
Meine Eltern und ich sind bis nach Silvester bei Lauras Großfamilie eingeladen. Juhu, ich freu mich! Zuerst wollten meine Eltern nicht, und ich auch nicht. „Wie schaut das denn aus?“, haben sie gesagt. Ich habe gemeint: „Ihr würdet euch dort auch sowieso nur zoffen und mich wie immer blamieren!“
Aber Laura hat uns überzeugt. Sie hat erzählt, dass es bei ihnen total normal sei, dass immer irgendjemand „Neuer“ zu Weihnachten dazustoße, und dass alle kommen dürfen, egal, ob sie eigentlich nicht mehr dazugehörten, weil sie geschieden oder getrennt seien. Die „Ehemaligen“ würden ihre neuen Partner:innen und Kinder mitbringen, und dann würden alle gemeinsam feiern.
Also tauchen auch wir in Lauras Großfamilie ein. Wir können uns in der Nähe aus dem Weg gehen, und sind doch zusammen. Und das Highlight ist, dass wir „Aperol“, eine Scheidungskatze von MLD.MLC., abholen. Wir setzen ihr eine rote Weihnachtsmann-Mütze auf, und sicher wollen sie alle streicheln. Irgendwer in der Großfamilie wird in Zukunft schon Zeit zum Kuscheln mit ihr haben, und ich hoffe, dass ich das sein werde.
Smiley Emoji, Katzen Emoji.
Jolande Peck-Himmel ist Autorin und Ghostwriter.