Gschissene Weihnachten
Lisa Keskin
Lisa Keskin
Verf––ter Schnee, gsch––ane Weihnachtssch––ße!
Mühselig stolpere ich durch den unnötigen Gatsch, den der Winter so mit sich bringt. Geht mir das alles auf den Zeiger, unpackbar! Aber da muss ich jetzt durch!
Ich quäle meine Mundwinkel in ein freundliches Lächeln – oder etwas, das man mit beachtlich wenig Menschenkenntnis dafür halten könnte. „A so ein liebes Hunderl! Einen wunderbaren Tag wünsche ich Ihnen! Und herrliche Weihnachtstage!“ Mir tut zwar ordentlich das Gesicht weh von meinem falschen Strahlen, aber in meinem Job muss man ja immer gut aufgelegt sein, oder? Zumindest hab ich das in meiner Ausbildung so gelernt! Aus der Nummer komm ich offenbar nicht raus.
Bitte, jetzt brunzt der unnötige Köter da vorne die Autoreifen an, dabei weiß doch JEDER, dass das ganz schlecht ist für den Gummi. Wie deppert ist die Alte eigentlich?
Aber das ist heute nicht mein Bier. Also schlucke ich meinen Grant dorthin hinunter, wo er hingehört, und schleppe mich und meine Last weiter.
Diese eine Aufgabe noch, dann hab ich’s hoffentlich für dieses Leben. Kann man das so sagen? Ich weiß es nicht … ist mir auch wurscht. Hauptsache, der Mist ist bald vorbei!
Da, jetzt kommt mir auch noch die Angie entgegen, na das hab ich braucht, dass die mich so sieht. Mundwinkel hoch! HOCH!, schrei ich mich innerlich selbst an. Schultern zurück, Fröhlichkeit ausstrahlen, los jetzt!
Es tut mir fast körperlich weh, diese Farce aufrechterhalten zu müssen, aber da muss ich –MUSS ICH! – durch.
„Seeeervus, liebste Angie! Na, wie geht’s dir denn? Deine Haare sind so hübsch, und dieses Kleid! Ganz wunderbar!“ Innerlich übergebe ich mich fast. Geh weiter, geh weiter, du schiache dünne Spragn!
Aber Angie lächelt mich freundlich an – Mist, ich glaube, die meint das ernst! Die IST so! – und schaut mir forschend in die Augen: „Geht’s dir gut, Lena? Du wirkst ein bisschen … angespannt! Du weißt schon, das ist normal, beim ersten Auftrag. Aber du wirst dich schon noch dran gewöhnen, meine Liebe! Kopf hoch!“
Meine Zähne knirschen kurz, als ich mich an einem weiteren Lächeln versuche. Dran gewöhnen? ERSTER Auftrag? Ich glaub, der geht’s nicht gut! Das sind eigentlich zwei Aufträge: mein erster und mein letzter in Union! Danach war’s das! So ist das ausgemacht!
Schließlich raffe ich mich zu einem Winken auf und schlittere auf dem rutschigen Gehsteig weiter meinem Ziel entgegen: Da vorne ist das Büro. Dort muss ich hin.
Die warten schon auf mich.
Wie bin ich nur in diese Lage gekommen? Ich weiß es nicht genau. Da war diese Straße. Und ich, wie immer in Eile. Auf dem Weg zum nächsten Coaching-Termin. Geärgert hab ich mich über einen Trottel, der mir auf dem Zebrastreifen den Weg abgeschnitten hat. Fast über die Zehen gefahren wär mir der! Aber schimpfen tut man ja nicht. Also hab ich ihn mit einem ätzenden Laser-Lächeln bedacht, den Arsch. Und ihm nachgeschaut, in der Hoffnung, dass er sich gleich irgendwo einbaut mit seinem gsch––ssenen Toyota.
Vielleicht bin ich auch ein Stück rückwärts gegangen. Auf der Straße.
Das nächste, das ich wahrgenommen habe, war ein Bums. Ein heftiger. Und ein Flug. Durch die Luft. Dann war es erstmal sehr ruhig um mich herum. Ruhig – und doch laut. Kreischen, Schreien, Quietschen von Bremsen. Doch das alles hab ich nur noch von weither wahrgenommen. Wie durch einen Schleier. Wie aus einer anderen Welt …
Was den Punkt auch ziemlich trifft. Denn in diesem Augenblick hab ich aufgehört, Lena zu sein, die psychologische Beraterin, immer gut gelaunt (zumindest nach außen), erfolgreich und immer busy.
Und begonnen, erst einmal niemand zu sein.
Durch meinen Schleier konnte ich noch den Busfahrer wahrnehmen, der entsetzt auf meinen elegant auf der Fahrbahn ausgebreiteten Körper starrte. Und ich dachte nur: Hättest du nicht ein bisschen mehr aufpassen können, du Schlumpf?
Das war das Letzte, das ich denken konnte, bevor ich wie durch einen Sog, wie durch ein schwarzes Loch, in eine andere Dimension geschwuppst wurde.
Okay, hab ich gedacht. Dann war’s das jetzt. Auch gut. So toll war das auch wieder nicht. Eh lauter Gestalten, dort auf der Erde! Also schaun wir mal, was es im Himmel so Neues gibt!
Da sah ich sie. Vor mir auf einer Wolke sitzen, verschmitzt grinsend. Und mit den Beinen baumelnd. „Das war’s noch nicht, meine Liebe! Und schauen wirst du auch noch nicht! Zunächst hast du ein paar Aufgaben zu erfüllen – dann entscheiden wir, wo du zukünftig stationiert wirst!“
Ich zog eine Augenbraue hoch. Wie jetzt? Das war’s noch nicht?
„Nun, du bist eigentlich viel zu früh hier. Und auf deinem Platz sitzt noch jemand anderer. Außerdem hättest du noch einiges zu erledigen gehabt, einiges gutzumachen!“
„Aber“, stieß ich empört hervor, „ich war doch immer freundlich und nett – mir ist im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne aus dem Hintern geschienen!“
„Ach, du kleines Dummerchen! Nur, weil du tust, als ob alles toll wäre, kannst du doch eine andere Seele nicht täuschen! Wir sehen hinter die Fassade. Nicht nur wir hier oben, auch die Menschen! Und das, was du nach außen hin zeigst, hat mit dem, was in dir vorgeht, nichts zu tun! Also bekommst du von mir eine Aufgabe. Wenn du diese erledigt hast, schauen wir weiter!“
Was sollte ich tun? Gegen Gott kommt man schwer an. Also nickte ich nur ergeben.
Doch was meine Aufgabe werden sollte, traf mich hart.
Ich sollte für einen Tag verdammte Weihnachtspackerl zustellen!
Und das mir, dem ewigen Grinch! Dieser Weihnachtskacke konnte ich sowas von nichts abgewinnen! So sehr mir auch die Sonne aus dem Hintern schien – oder zu scheinen schien – das war mir zu viel! Immer schon gewesen! Auch, wenn ich es hinter blumigen Wendungen versteckt hatte. „Ach weißt du, Weihnachten ist nicht so ganz meine Sache. Aber ich freu mich für alle anderen, die es genießen! Genießt es! Gönnt euch diese wunderbare Zeit!“, während mich das nackte Grauen überkam. Weihnachtskacke. Das war es für mich. Immer schon gewesen.
Schon als kleines Mädchen, als ich meist allein mit meiner Großmutter unterm Baum war, während meine Eltern im Nebenzimmer auf Mord und Brand gestritten haben. Später, als Oma nicht mehr war, ganz allein, mit ein paar Dosen Cola-Rum und einem Joint. Oder eigentlich nicht ganz allein, denn da hat sich jemand eingenistet in meinem Herzen. Ein kleiner mieser Kobold. „Das ist kein Wunder, dass du allein bist. Wer soll dich schon mögen? Schau dich an! Nicht einmal die Oma hat dich wirklich liebgehabt! Und alle anderen sind sowieso Oaschl––er!“ So hat dieser kleine Kobold auf mich eingeredet. Wochenlang, monatelang. So lange, bis er ein fixer Teil von mir geworden ist und begonnen hat, einen Teil meiner Gedanken zu übernehmen.
Dass ich trotz allem schließlich den rechten Weg gefunden habe, eine Ausbildung abschließen konnte, und sogar recht erfolgreich war, war purer Zufall.
Mit Weihnachten hat es mich nicht ausgesöhnt. Ohne Familie, wozu sollte das gut sein?
Und da bin ich nun. Knapp vor dem Ziel. Da vorne, da sollte dieses Büro sein, in das ich diesen ganzen Weihnachtskram schleppen soll.
Als ich vor der Tür stehe, schnaufe ich kurz durch. Von drinnen klingt Lachen auf die Straße, durch die leicht beschlagenen Scheiben sehe ich Menschen. Viele Menschen. Lachend, plaudernd, sich umarmend. Was zum Geier ist das? Während ich noch zögere, löst sich von oben eine Schneelawine und trifft mich voll ins Gesicht. Autsch! Nicht nur, dass das ordentlich wehgetan hat, sehe ich jetzt sicher aus wie ein begossener Pudel. Das auch noch!
So will ich mich schon gar nicht zeigen. Doch ich weiß, ich muss.
Also schnaufe ich noch mal durch, fasse mir ein Herz und läute an.
Die Tür geht auf, und Sekunden später bin ich umringt von Frauen. Nein, nicht nur Frauen, auch ein paar Männer sind darunter. Alle stürmen auf mich zu, schauen mich erwartungsvoll an. Und wie immer, wenn ich nervös bin, passiert mir was. In diesem Fall ist es ein kleines Päckchen, das zu Boden segelt und ungespitzt in selbigen einschlägt. Es scheppert, und vermutlich ist gerade etwas Wertvolles zerbrochen. „Ich bin so ein Vollidiot!“, entfährt es mir, bevor ich mir die Hand auf den Mund schlagen kann.
Eine Frau tritt auf mich zu und hält mir eine Tasse mit heißem Tee entgegen: „Mädchen, sprich doch nicht so über dich! Du hast den ganzen langen Weg hierher geschafft, und das“, sie deutet mit dem Kopf zu der Stelle, an der das Päckchen gelandet ist, „ist nur ein Ding! Nicht wichtig – egal, was es auch sein mag! Du bist wichtig. Und liebenswert. Und wundervoll!“ Eine andere Frau gibt mir eine warme Decke. „Du siehst ganz erfroren aus, du armes Ding!“ Und plötzlich stehe ich im Mittelpunkt, werde wahrgenommen, mit Sympathie und Freundlichkeit überhäuft. Echter Freundlichkeit.
Ich schlucke.
Und aus irgendeinem Grund treibt es mir Tränen in die Augen.
Die restlichen Pakete, die ich noch immer fest umklammert hatte, fallen zu Boden. Nein, sie schweben zu Boden, als hätten sie plötzlich kein Gewicht. Völlig schwerelos.
Und irgendwo, drinnen in meiner Seele, löst sich was. Ich glaube, ein „Neeeeeeein!“ zu hören, und danach ein: „Tschüß, du Kuh! Dann geh ich halt!“
Leichtigkeit überkommt mich. Leichtigkeit, gepaart mit einem Hauch von Schwermut. Der Kobold, mein jahrlanger Begleiter, hat sich verabschiedet. Endlich.
Und jetzt soll ich auch gehen? Wohin auch immer – das wird sich ja erst weisen! Ich mag nicht! Hier hab ich meinen Platz gefunden. Nicht nur hier im Außen, sondern endlich auch in mir drinnen!
Hinter den mich umringenden Menschen materialisiert sich Angie. „Du hast nun die Chance. Willst du mit mir kommen – oder bleibst du hier?“, fragt sie lächelnd.
Und weiß doch, dass sie die Antwort längst schon kennt.
Lisa Keskin ist Lehrgangsleiterin der Ghostwriting Academy, Autorin und Ghostwriter.