So war Weihnachten
Sonja Kerschbaumer
Sonja Kerschbaumer
„Klopf nur an, der Herr Leopold ist ein ganz ein Lieber!“
Schüchtern hebt der 12-Jährige die Hand und klopft leise an. Als der Bub die Türe öffnet, sieht er einen alten, runzligen Mann in einem gemütlichen, braunen Fernsehsessel sitzen.
„Guten Tag, Herr Leopold, ich bin …“
„Ja, wen hamma denn da, komm her Büble, was machst‘n du da in mein‘ Zimmer?“
Etwas irritiert platziert sich der schüchterne Bub auf einem Sessel neben dem alten Mann. Mit so viel Freude über seinen Besuch hätte er gar nicht gerechnet.
„Ich habe Kekse mitgebracht. Meine Lehrerin hat gesagt, wir sollen mit alten … also ich soll für die Schule mit Ihnen darüber reden, wie Weihnachten war, als Sie ein Kind waren.“
„So, so. Weihnachten wie ich a Kind war. Sowas soll ma wissen heutzutag in der Schule?“ Herr Leopold lehnt sich gemütlich zurück und denkt nach. „Sche woa des, Büble! So sche! Das ist scho sehr lang her. A ganz andere Zeit. A schwere, aber zufrieden warn ma. Wenn ich ma das heute so anschau, was da aufgführt wird!“ Er schüttelt den Kopf. „Frag mich, Büble. Was möchtest wissen?“
„Was haben Sie denn so gemacht am Weihnachtstag?“
Der alte Mann wird ruhig und streicht sich nachdenklich über sein Kinn. Nach einer kurzen Denkpause atmet er tief ein. „Meine drei Schwestern und ich sind immer schon richtig aufgeregt aufgewacht. Der Vota hat uns wie jeden Tag um sechs aufgeweckt. Die Mentscha ham der Mutter in der Küch geholfen. Der Vota und ich ham den Viechern im Stall geweihtes Brot geben. Was ham sich die gefreut!“ Er lächelt selig, in Erinnerungen versunken.
„Warum haben Sie das gemacht, Herr Leopold?“
„Na, die Viecher war‘n wichtig! Von denen hab ma glebt. Der Vota hat Weihnachten immer den Stall mit an Harz gräuchert und betet. Und ich sicherlich mit, damit ka Kua stirbt – das wär schlimm gwesen! War ma doch Milchbauern! Wenn ma dann in die Küch kommen sind, der Vota und ich, hats wunderbar nach Keksen gerochen, die die Mutter dann am Baum ghängt hat.“
„Sie hatten Kekse am Baum?“ Der Bub schaut ihn ungläubig an. Kekse gehören doch auf einen Teller, nicht auf den Baum.
„Besondere Keks waren das. Nur zu Weihnachten hats die geben. Jeden Tag, den‘s gehangen sind, sind‘s weicher worden. Der Vota hat immer an schiachen Baum bracht. Der hat weniger Schilling kost. Aber dann hat die Mutter die Lamettakistn gholt. Das hab ma jedes Jahr verwendet. Was hat der Baum dann g’funkelt und g’leuchtet! Wie meine Mutter dann gstorben is, hab ich die Lamettakistn mitgnommen. Und jedes Jahr hab ich es mit da Frau auf unseren Baum ghängt. Gott hab sie selig, meine liebste Mitzi!“ Eine Träne rollt über seine Wange.
„Und dann gab es Geschenke, Herr Leopold?“
Der alte Mann wischt sich mit seinem Stofftaschentuch übers Gesicht und lacht.
„Dann simma sauber g‘macht worden. Weihnachten hab ma alle ins Schaffel dürfen.“
„Ins Schaffel?“
„Das war a Holztrog, da hat ein Kind nach dem andern rein dürfen.“
„Alle in das gleiche Wasser?“ Der Bub rümpft ungläubig die Nase.
„Na sicher! Weihnachten und Erntedank is ordentlich bad‘t worden!“
Unter ordentlich Baden versteht der 12-jährige etwas anderes. Er kann es kaum glauben.
„Und dann hat es Geschenke gegeben?“
„Na, na … dann samma in die Kirchen gangen, ich und der Vota, hab ma betet, Dank g‘sagt für alles, was der Herrgott uns schenkt und bittet, dass uns kein Viech stirbt. Daheim hat dann schon des Weihnachtsessen auf uns g‘wartet. A G‘selchtes mit Erdäpfel und a ordentliche Suppen mit Brot. Ganzen Tag nix zum Essen kriegt, hab ich das schon von weitem g’rochen!“ Leopold schließt die Augen und atmet tief durch die Nase ein.
„Aber dann hat es doch Geschenke gegeben, oder?“ Der Bub ist aufgeregt.
„Büble, du bist ganauso ungeduldig wie mein Klausi, wie er a Bua war. Das is mei Sohn. Die Mitzi hat immer die Tür zugsperrt, wenn ma das Lametta aufghängt haben in der Nacht. Dass er nicht sieht, was ich für an schönen Baum g‘schlägert hab. Der Klausi … der wollt immer a Auto haben. So eins, dass man z‘rückzieht und des dann von selber wegprescht. G‘spart hab ich, damit wir‘s ihm kaufen können!“
„Aber Herr Leopold, wann hat es denn jetzt bei Ihnen daheim Geschenke gegeben?“
„Büble, is größte Geschenk war, dass ma alle g‘sund sind. Aber nach zwei mal Rosenkranz beten hab ma dann scho was kriegt.“
„Aber was denn, Herr Leopold?“ Er hält es kaum mehr aus.
„Na neue Schuh, Unterhosen, was ma halt so braucht. Und an Kreisel hab ma mal kriegt. Da hamma dann bis zur Bettzeit damit g‘spielt.“ Leopold hebt seine Hand und macht eine Bewegung, als ob er einen Kreisel drehen würde. „Des woa schee!“
Dem Buben bleibt die Spucke weg. Unterhosen zu Weihnachten? Kann doch nicht wahr sein. In seine Gedanken versunken merkt er gar nicht gleich, dass sich die Türe öffnet.
„Herr Leopold, Ihr Sohn ist da, um Sie abzuholen!“
Er grinst. „Na wenigst Weihnachten seh ich ihn noch!“
Mühselig hievt er sich aus seinem Sessel, geht zu seinem Nachtkästchen, küsst das Bild seiner Frau und legt es flach hin.
„Das macht er immer, wenn er den Raum verlässt“, sagt die Pflegerin. „Weil seine Mitzi nicht gern alleine ist.“
„Schön, dass du ma zughört hast, Büble. Ich wünsch da a schönes Fest mit deine Lieben!“
„Danke, Herr Leopold! Ihnen auch!“ Der Bub bleibt noch einen Moment sitzen und sinnt über das Gehörte, dieses für ihn unglaubliche Weihnachtsfest des alten Herrn Leopold nach. Als er abgeholt wird, springt er in das Auto seines Vaters, umarmt ihn innig und sagt: „Papa, ich hab dich lieb!“
Sonja Kerschbaumer ist Autorin und Ghostwriter.