WUT
Kennst du das? In dir brodelt es. Du bist wütend, so richtig wütend. Jemand hat etwas gesagt oder geschrieben, was dein Herz schneller schlagen und deinen Blutdruck steigen lässt, und du möchtest laut schreien oder dem Verfasser so richtig die Meinung geigen! In deinem Kopf hast du schon jedes Wort vorbereitet – du weißt zu 100 Prozent, dass du im Recht bist und dass das, was der andere von sich gibt – sorry – gequirlte Scheiße ist. Aber statt dir Luft zu machen, zu deiner Meinung zu stehen und dem Wortspender klarzumachen, dass er, gelinde gesagt, ein schöner Depp ist, bist du still. Nach außen hin zumindest, denn in dir drin ruft es laut:
„Sag was! Lass dir das nicht gefallen! Lass die Frechheit/Dummheit/Verlogenheit nicht unkommentiert!“
Aber nichts passiert … deine Gedanken drehen sich noch tagelang um den Vorfall, aber niemand erfährt davon. Stattdessen bekommst du Magenschmerzen, Kopfschmerzen, kannst nicht mehr essen oder schlafen und giftest lieber deinen Partner oder deine Kinder an, statt dir den eigentlichen Urheber vorzunehmen. Lediglich im Kopf stellst du dir immer und immer wieder den herrlichen Moment vor, in dem deine Gedanken ihren Weg nach außen finden und du dich frei und erleichtert fühlst.
Aber warum nur im Kopf? Was hält dich davon ab, dir – im wahrsten Sinn des Wortes – Luft zu machen und zu dir und deiner Meinung zu stehen?
Die Antwort ist genauso einfach wie traurig: Du hast Angst! Du hast Angst vor den Worten deines Gegenübers. Angst davor, seine Worte könnten dich verletzen und einen Punkt in dir treffen, der dich Schachmatt setzt. Dann lieber mit den Magenschmerzen leben und ein paar schlaflose Nächte in Kauf nehmen. Bloß keine Konfrontation! Bloß keine Disharmonie! Bloß kein Streit! Am Ende mag einen der andere vielleicht nicht mehr – oder noch viel schlimmer: Er/sie macht einen bei anderen schlecht, weil man nicht seiner/ihrer Meinung ist oder – das Schlimmste überhaupt – überhaupt eine eigene Meinung hat!
Schuld an all dem sind vermutlich Erfahrungen in der Kindheit, in der Jugend oder auch im weiteren Leben, bei denen dir immer mal wieder klargemacht wurde, dass es zwar schön ist, dass du eine eigene Meinung hast, aber du diese lieber für dich behalten sollst. Falls nicht, war die übliche Reaktion deines Gegenübers Ignorieren, mit Nichtbeachtung strafen oder mit Aggression kontern. Und wer will das schon? „Sei beliebt“-Antreiber nennt sich der Kerl, der schuld an der ganzen Misere ist. Was als Kind mit „sei brav, dann wirst du belohnt“ begonnen hat, wird im weiteren Leben zu einem „sei brav, dann wirst du gemocht“ – nicht selten zum Preis einer lebenslangen Gastritis.
Auch ich gehöre zu den Menschen, denen dieser verdammte Antreiber nur allzu oft das Wort abschneidet, bevor es meinen Mund oder meine Finger verlassen kann. Mit dem Ergebnis, dass sich im Laufe meines Lebens die ignoranten, verletzenden und dummen Menschen immer sicher fühlten und auf diese Weise noch ignoranter, verletzender und dümmer wurden.
Doch soll ich dir was verraten? Ich habe es satt! Ich habe es satt, nur dann gemocht und akzeptiert zu werden, wenn ich still bin, alles hinnehme, während die Blödheit/Verlogenheit und Unverfrorenheit um mich rum immer mehr werden!
Deshalb lautet mein Motto ab sofort: Wer mit meiner Meinung nicht leben kann, kann gern auch ohne mich leben. Oder anders gesagt: Die ruhigen Zeiten sind vorbei!
Conny Strumberger-Sellner ist Editorin, Ghostwriter und Autorin. Außerdem ist sie Trainerin der Ghostwriting Academy sowie Chefredakteurin der DBZ.