Armes Deutsch!
Es gibt wenige Dinge auf dieser Welt, die für mich schwarz oder weiss sind. Sehr treffend finde ich das Bild, auf dem zwei Personen am jeweils anderen Ende der am Boden aufgemalten Zahl 6 bzw. 9 stehen und jeder für sich beansprucht, die Wahrheit zu kennen. Es kommt im Leben immer auf den Blickwinkel an, jeder von uns hat andere Werte, Erwartungen und Erfahrungen, weshalb ich persönlich stets bemüht bin, in Diskussionen die Meinungen anderer nachvollzuziehen. Außer es geht um das Thema Denglisch. Dann nicht.
Denglisch ist dumm.
Schon in meiner Masterarbeit befasste ich mich mit dem Thema Englisch als Lingua franca und kam tatsächlich zum Entschluss, dass es sich um eine natürliche Entwicklung handelt, wenn in Bereichen, in denen beispielsweise den USA eine Vorreiterrolle zukommt, englische Begriffe im Deutschen Einzug halten. Selbstverständlich müssen wir deshalb kein Wort für Laptop erfinden, der Computer ist ebenfalls schon seit Jahrzehnten salonfähig. Auch Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit kann ich nachvollziehen. Es ist sprachlich effizienter, auf Instagram von Followern zu sprechen, anstatt auf den vielleicht etwas martialisch anmutenden Begriff Verfolger zurückzugreifen. In klar abgegrenzten Fachbereichen ist das Verwenden englischer Ausdrücke legitim und auch aus linguistischer (und vor allem: meiner) Sicht ohne Vorbehalte nachvollziehbar.
Das war es dann aber auch!
Wenn ich Menschen auf der Straße beim Reden zuhöre, bedarf es meiner ganzen Selbstbeherrschung, mir nicht wie Rumpelstilzchen die Gliedmaßen vom Körper zu reißen und sie den anderen über den Kopf zu dreschen. Formulierungen wie “Das ist die ur-nice-y Location!” oder “Das habe ich noch gar nicht considerated.” sind in meinen Augen Auswuchs um sich greifender Denkfaulheit. Wie die meisten da draußen sehe auch ich regelmäßig Serien und Filme auf Netflix, immer in englischer Originalsprache, aber es muss einem erwachsenen Menschen doch bitte sehr zuzutrauen sein, in seinem Kopf Mutter- und Fremdsprache zu trennen. Die unschöne Wahrheit ist nämlich, dass in Österreich nun nicht besser Englisch gesprochen wird als früher, und es deshalb nicht der Fall ist, dass die ach so guten Fremdsprachenkenntnisse jene der Muttersprache verdrängen. Hören Sie einfach diesen Denglisch-Sprechern in einer auf Englisch geführten Unterhaltung zu und Sie werden verstehen.
Hip und modern? Naja …
Meiner Erfahrung nach handelt es sich bei unseren Denglisch-Muttersprachler:innen meist um Personen, die – vollkommen unauthentisch – hip und modern wirken wollen. Manager sind ein (un-)rühmliches Beispiel. Eine Standardfloskel scheint zu sein: am Ende des Tages. Hier ein kleiner Schwank aus meinem Leben: Als ich mich kurz nach meinem Studium in einem Anfall geistiger Umnachtung für einen Job bewarb, der von einem deutschen Konzern (siehe Umnachtung) im Bereich des Telefonverkaufs (hierfür reicht nicht einmal die Umnachtung als Entschuldigung) angeboten wurde, fiel mir auf, dass von den Referierenden ständig von am Ende des Tages dies und am Ende des Tages das gesprochen wurde. Es war mir unverständlich, warum ein so großer Teil der Arbeit am Abend, eben am Ende des Tages stattfinden sollte. Als mir schließlich nach neunstündigem Martyrium klar wurde, dass hier einfach die englische Floskel at the end of the day (zu deutsch: schlussendlich, letzten Endes) ohne ersichtlichen Grund und Nutzen ins Deutsche übernommen wurde, und dabei auch noch deren ursprünglicher Sinn zerstört wurde, verließ ich die Bewerbungsscharade umgehend und ließ als Zeichen der Revolution die leider gut gefederte Tür scheppernd ins Schloss fallen (es war viel mehr ein hysterisches Klicken der Tür, aber ich kann die Geschichte schließlich erzählen, wie ich will). Wenn ein Deutsch-Muttersprachler und Englisch-Dolmetscher diesem künstlichen Sprach-Tohuwabohu nicht mehr folgen kann, ist es wahrscheinlich schon fünf nach zwölf.
Warum macht vieles keinen Sinn?
Viele Strukturen werden leider schon gar nicht mehr als fremdsprachig erkannt. Dass etwas im Deutschen keinen Sinn machen kann, wissen nicht mehr viele. Dinge können sinnvoll sein, oder eben sinnlos. Sinn machen tun sie trotzdem aber dennoch nicht. Die Corona-Pandemie hat uns nicht in 2020 getroffen, sondern nur 2020. Schlimm genug, dass es überhaupt passiert ist. Als ein Kursteilnehmer sagte, er würde öfter die Struktur Ich habe ein Issue geraised verwenden, setzte ich ihn kurzerhand vor die Tür. Und müssen Dinge wirklich voll nice, voll cute, oder voll flashig sein? Nett, sympathisch, süß, gutaussehend, freundlich, grell, schreiend? Eines davon? Die Liste der Beispiele könnte bis in alle Ewigkeit fortgesetzt werden.
Mir ist vollkommen klar, dass sich der Trend nicht vollends aufhalten lassen kann. Was wir aber aufhalten können ist, dass wir vor lauter Denkfaulheit und hirnlosem Nachplappern irgendwann über unsere eigenen Hirnsynapsen stolpern. Wäre ja auch schön, wenn wir unsere wunderbare deutsche Sprache huldigen und pflegen. Just saying.