Kukis Lächeln

von Hanna Fiedler

Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit – oder ist es gerade jetzt? – ein wunderhübsches und immer fröhliches Delfinmädchen.

Ihr hübsches Lächeln fiel jedem Meeresbewohner, der sie traf, sofort auf. Das junge Delfinmädchen lachte viel. Sie sprang aus den Fluten, ritt auf den Wellen dahin und freute sich sehr darüber, dass sie die Fische, Seesterne, Korallenbewohner, Meeresschildkröten und alle anderen erheiterte, wenn diese ihre Kunststücke sahen.

Manche ihrer Freunde kamen von weither, um sie zu sehen. Manche meldeten sich lange an, um sich von ihrer Fröhlichkeit anstecken zu lassen.

Oft fragten sich die Meerestiere, wie Kuki das wohl machte. Wann immer man sie traf, umspielte ihren Mund ein freundliches Lächeln. Ohne dieses Lächeln kannte man sie gar nicht.

Eines Tages schwamm Kuki wieder einmal herum, strahlend, aber so ganz ohne das laute Geschnatter, das sie üblicherweise von sich gab, wenn sie den anderen Meeresbewohnern zeigen wollte, wie gut man auf den Wellen reiten konnte. An diesem Tag zog sie lächelnd, aber leise ihre Kreise im Wasser. Dann verschwand sie ohne einen Ton in der Finsternis der See. Irritiert sahen ihr die kleinen Anemonenfische nach. Verblüfft fragten sich die Muränen, was mit Kuki los sei.

„Mami, hat Kuki Halsschmerzen?“, fragte die kleine Schildkröte ihre alte Mutter. Doch diese konnte ihr keine Antwort geben.  „Papa, was ist denn mit Kuki los?“, fragte der kleine Petersfisch seinen Vater. Doch auch dieser hatte keine Ahnung.  „Hey, kleiner Hai“, meinte der Rochen zu seinem Freund, „hast du Kuki gesehen? Sie lächelt uns einfach an und schwimmt trotzdem ohne ein Wort vorbei in die Dunkelheit. Ist sie jetzt hochnäsig geworden?“ Aber der Hai, der immer ein wenig grantig wirkte, wusste auch nicht, was mit dem Delfinmädchen los war.

Drei Tage lang war Kuki nicht aufzufinden. Dann tauchte sie plötzlich wieder auf, lächelte alle Anwesenden wieder strahlend an und schnatterte laut los, während sie ihren Ritt auf den Wellen vollführte. Sie unterhielt sich mit den Schildkröten. Sie schwamm mit den Anemonenfischen um die Wette, brachte die Meerestiere zum Lachen und verbreitete Fröhlichkeit.

Eine ganze Weile ging das so, doch immer öfter kamen Tage, an denen sich das Delfinmädchen einfach in die Dunkelheit zurückzog. Wer immer ihr begegnete, konnte das strahlende Lächeln des Mädchens sehen, aber dann war sie auch schon wieder verschwunden.

Als sie an einem Tag wieder einmal bei den Schildkröten vorbeischwamm, um sich zurückzuziehen, bemerkte Hugo, ein ganz kleiner Schildkrötenbub, eine Träne, die sich aus dem Auge von Kuki schlich.  Man musste genau hinsehen. Eine Träne, die mitten im Ozean aus dem Auge einer Meeresbewohnerin quillt, kann man fast nicht bemerken. Außerdem überstrahlte das Lächeln der hübschen Delfindame immer noch jede andere Wahrnehmung. Doch Hugo war sehr aufmerksam.

Vorerst vertraute er niemandem an, was er meinte da gesehen zu haben. Er wollte warten, bis er Kuki einfach einmal selbst fragen konnte. Einige Tage später war es dann soweit. Kuki schwamm wieder fröhlich bei all ihren schwimmenden Kollegen vorbei und lächelte dabei vor sich hin.

„Halloo Kuki, hallo Kuki, ich habe eine Frage“, rief Hugo einfach. Mit einer „Notbremsung“ blieb Kuki stehen. „Hallo Hugo, wow, ist das großartig – da hast du was, das viele Schwimmer nicht haben!“, kicherte sie laut und wartete, bis auch die anderen Meerestiere lachten.  „Okay, lieber, kleiner Hugo – magst du deine Frage behalten, oder magst du sie stellen?“ fragte sie lächelnd, mit einem weiteren Blick in die Runde.

Hugo wollte ihr die Frage schon gern stellen, aber er wollte mit Kuki allein reden, nicht vor allen anderen Schwimmtieren. Irgendwie fühlte er, dass es Kuki möglicherweise nicht recht sein könnte, wenn alle seine Frage hörten. So verabredete er sich mit ihr am frühen Abend im Bauch der großen Koralle, dort wo es Kuki oft allein hinzog.

„Also was gibt es?“, fragte Kuki den kleinen Schildkrötenmann. „Kuki,“, begann Hugo vorsichtig. „immer, wenn wir dich sehen, lächelst du alle fröhlich an und schnatterst vor dich hin. Oft bringst du uns auch zum Lachen, und das finden wir alle so großartig und dafür bewundern wir dich auch. Nie kann man bei dir Trauer oder Wut oder Sorge sehen. Aber bist du wirklich immer so gut gelaunt?“ „Ich lächle immer, das hat die Natur so vorgesehen“, erwiderte Kuki, „aber was willst du jetzt von mir wissen?“  Nun wollte Hugo Kuki nicht zu sehr bedrängen, aber er wollte ihr doch seine Hilfe anbieten, wenn sie diese wollte. Also sprach er weiter: „Ich sehe so oft dein wunderbares Lächeln, aber ich glaube, ich habe gestern auch eine Träne gesehen. Ich weiß nicht, wie das geht, und die Träne war ja im ganzen Ozean nur sehr schwer zu erkennen. Du sollst wissen, dass ich da bin, wenn du die Tränen aus dir raushaben und im Ozean verschütten möchtest, damit du wieder leichter und weiter lächelnd herumschwimmen kannst.“

Und da brach es aus Kuki heraus. Nie hatte es jemand bemerkt, dass sie oft nur nach außen lächelte. Sie meinte immer, dass das, wie es in ihr aussieht, niemanden was angeht. Die Natur hatte ihr einen Mund geschenkt, der lächelt. Hatte sie da das Recht zu haben, auch mal traurig zu sein? Im weiten Ozean konnte und würde es niemanden interessieren, wenn ein salziger Tropfen mehr drin wäre – auch, wenn es sich dabei um eine Träne handelte. Und es konnte auch kaum jemand bemerken. Doch nun war der Damm gebrochen und Kuki bemerkte, wie gut es tat, mit jemandem zu reden. Nachdem es wirklich sehr schwierig war, im Meer eine einzelne Träne zu finden, vereinbarten die beiden, dass Kuki immer, bevor sie sich traurig zurückziehen wollte, erst einmal zu Hugo schwimmen würde, um mit ihm oder jemandem aus seiner Familie zu reden.

Ihr Lächeln war noch genau so schön wie immer. Ihr Schnattern war noch genau so laut, wenn sie auf den Wellen ritt. Aber wenn sie traurig oder wütend war, war jemand da, dem sie sich anvertrauen konnte. Und so musste sie nicht mehr allein im Dunkeln verschwinden.

Hanna Fiedler, geboren 22.7.1960 war bis 1994 in verschiedenen kaufmännischen Berufen unzufrieden. Schließlich entschied sie sich zu einer vierjährigen Ausbildung zur Dipl. Lebensberaterin. Diesen Beruf übt sie nun seit 1999 selbstständig und erfolgreich aus.

Bereits erschienene Bücher:

„Unser Leben zu dritt – er, die Demenz und ich“
„Tinchen und andere Lebensmärchen“
“Gut, dass der Zug NICHT kam”

Foto: Miriam Mehlmann