RING RING RING. Das Telefon im von Glaswänden umgegebenen Büro läutet. Die Frau am Schreibtisch reißt den Hörer vom Telefon und bellt hinein: „Klaus?“. Nach einer kurzen Pause, in der sie ihrem Gegenüber zuhört, ruft sie in den Hörer: „Nein, das kann nicht bis morgen warten. Wir sind jetzt schon hinter dem Zeitplan und wenn die Stühle bis morgen nicht fertig lackiert sind, werden die Tische bis zur Lieferung nicht mehr trocken.“ Nach einer weiteren kurzen Pause: „Das ist mir egal, wie ihr das macht, dann müsst ihr halt heute länger bleiben. Oder fragt in einer der anderen Abteilungen, ob sie jemanden entbehren können, der euch hilft!“ Nach einer abrupten Verabschiedung knallt sie den Hörer wieder auf das Telefon. Den Blick zurück auf den Bildschirm vor ihr, versucht sie sich auf die E-Mail zu konzentrieren, aus deren Bearbeitung der Anruf sie gerissen hat.
Da klopft es an der Tür und ein Mitarbeiter kommt zögerlich herein. „Verzeihung, ich möchte Sie nicht stören, aber es ist ein Notfall!“ Ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen, fragt Frau Klaus genervt: „Worum geht’s?“ „Wir hatten einen Unfall in der Zuckerlwerkstatt. Einem Lehrling ist ein Sack Ascorbinsäure in den Topf für die Himbeer-Bonbons gefallen.“ „Dann macht die doppelte Menge draus und dann gibt’s diesmal eben saure Himbeer-Bonbons. Die Kinder mögen sauer eh sehr gern.“ „Alles klar!“ Der Mitarbeiter schließt leise die Tür und eilt so schnell den Gang hinunter, dass man nur noch einen verschwommenen, grünen Streifen erkennt.
Nun versucht Frau Klaus zum dritten Mal, sich auf die geöffnete E-Mail zu konzentrieren, wird aber erneut von einer Mitarbeiterin unterbrochen, die schwer atmend die Tür aufreißt. „Frau Klaus, einem der Tiere geht es nicht gut! Es scheint furchtbare Schmerzen zu haben!“ Frau Klaus schaut sie einen Moment bestürzt an, reagiert aber sofort, indem sie den Hörer in die Hand nimmt und eine Schnellwahltaste am Telefon drückt. Nach dreimaligem Läuten hebt jemand ab. „Herr Dr. Waldmann? Bitte kommen Sie schnell, wir haben hier einen Notfall.“ Nach einer kurzen Besprechung legt Frau Klaus auf und teilt ihrer Mitarbeiterin mit, dass der Herr Doktor in ein paar Minuten da ist. Erleichtert verlässt die Mitarbeiterin das Büro und eilt zurück in den Stall.
Frau Klaus atmet ein paar Mal tief durch und nippt an ihrem Baldriantee. So kurz vor Weihnachten ist hier immer die Hölle los. Sie startet einen weiteren Versuch, die E-Mail zu lesen. Sie ist von einem Lieferanten, der ihr mitteilt, dass sich eine Lieferung von Christbaumkugeln verzögert und erst nach Weihnachten geliefert werden kann. Frau Klaus klickt sofort auf „antworten“ und schreibt eine brüske E-Mail zurück, in der sie dem Lieferanten mitteilt, dass das inakzeptabel ist und sie die Kugeln nach Weihnachten nicht mehr brauchen kann. Notfalls würde sie sich auch mit durchsichtigen Kugeln zufriedengeben, die sie dann selbst einfärben würden. Sie schickt die E-Mail ab.
Die nächste Stunde verbringt sie damit, weitere dringende E-Mails und Anrufe zu beantworten und Brandherde zu löschen (einer davon war auch ein wortwörtlicher, da es in der Bäckerei ein kleines Feuer gab, das aber schnell gelöscht werden konnte). Inzwischen schmerzen Frau Klaus die Augen und eine Migräne kündigt sich an. Daher beschließt sie, eine Pause zu machen und runter in den Stall zu gehen, um nachzusehen, ob Herr Dr. Waldmann schon genaueres weiß.
Als sie unten im Stall ankommt, findet sie dort den Veterinär und die Mitarbeiterin in einer der Boxen bei einem Rentier, das am Boden liegt und angestrengt atmet. Besorgt fragt sie: „Wie geht es ihr? Ist es etwas schlimmes?“ „Nein, nein gar nicht. Im Gegenteil!“, antwortet Herr Dr. Waldmann mit einem Lächeln. „Sie liegt nur in den Wehen, es kann jetzt jeden Moment so weit sein!“ Mit einer Mischung aus Schock und Freude beobachtet Frau Klaus das Rentier. Nur wenige Minuten später wird mit Hilfe des Arztes und der Mitarbeiterin ein kleines Rentier-Baby geboren, das sofort mit Stroh trocken gerubbelt wird. Die Mama schleckt das Kleine hingebungsvoll von oben bis unten ab, während Frau Klaus ihm sanft über den Kopf streichelt. „Das hast du gut gemacht, Mama!“, haucht sie dem Rentier zu.
Beim Hinausgehen bespricht sie noch kurz mit dem Logistikleiter, ob der Ausfall des Rentiers ein Problem darstellt. Der Leiter versichert ihr aber, dass es bei der Zustellung der Pakete keine Probleme geben wird.
Frau Klaus dreht danach noch eine Runde durch alle Fertigungshallen und beschließt, für heute Feierabend zu machen. Sie stapft die wenigen Meter durch den Schnee zu ihrem Haus, das gleich nebenan steht. Beim Betreten des Hauses schlägt ihr sofort ein Geruch von Schokolade und Zimt entgegen. Während sie sich noch die Schuhe abstreift, beginnt sie schon, ihrem Mann Santa Klaus von ihrem Tag zu erzählen.
Nachdem sie sich auf die Couch vor dem Kamin fallen hat lassen, drückt er ihr eine große Tasse Kakao in die Hand, die sie dankbar annimmt, und setzt sich neben sie. Sie kuschelt sich an ihn, er nimmt sie in den Arm und während sie gemeinsam in das prasselnde Feuer schauen, erzählen sie sich gegenseitig von ihrem stressigen Arbeitstag, so wie sie es jeden Abend tun.
Katharina Hladik ist Autorin, Kreative und Office-Managerin. 😉