Lechners Tannen
Ein Ratekrimi von Jennifer B. Wind
Ein Ratekrimi von Jennifer B. Wind
Alois Lechner stapfte den Hügel hinauf. Der Neuschnee knirschte unter seinen Schuhsohlen. Wie jeden Winter tackerte er Vogelfutternetzchen an die Bäume seines Waldstücks.
Der Schmerz in seinem linken Arm zwang ihn, eine Pause einzulegen. Lechner inhalierte den Duft des Waldes, sog den Geruch seiner Tannen ein. Wie oft er es noch hierher schaffen würde, wusste er nicht. Drei Bypassoperationen hatte er hinter sich.
Plötzlich sah er eines der Netzchen am Boden liegen. Daneben hoben sich zarte Blutstropfen vom Weiß ab. Lechner sah sofort, was hier nicht stimmte.
»Kruzitürken, no moi. Da hot der scho wieda an Bam mitgnommen! Des Gfrastsackl!«
Verärgert starrte Alois auf den Baumstumpf, auf dem schwarze Krümel lagen. Ein Stück starker grüner Zwirn hing an der Rinde.
»Ned amal g´scheit abgsagelt hat er den. Da tuan sie jo meine Viecherln weh.« Diesmal musste er den Dieb finden.
Alois entfernte den Zwirn und steckte ihn ein, dann rieb er die Krümel zwischen seinen Fingern. Zarter Kirschgeruch stieg ihm in die Nase. Traurig hob er das Futternetzchen hoch und band es an eine andere Tanne. Sogleich kamen Blaumeisen und Rotkehlchen angeflogen, um die Nahrung aus dem Netz zu picken.
»Jo, meine Vogerln, schad, dass ihr ned reden könnt‘s. Ihr habt‘s den Zecker sicher g´sehn, wie er den Bam umg‘schnitten hot.« Nachdenklich rieb er sich das unrasierte Kinn.
Als er wieder ins Tal hinunterstapfte, fiel sein Blick auf den Lechnerhof, der einsam und verlassen dalag. Im Haus brannte kein Licht.
Alois Lechner wischte sich eine Träne von der Wange. Er vermisste seine Purgi, die erst im September gestorben war. Er ertrug die Stille in seinem Haus, das bereits der Bank gehörte, nicht mehr. Daher machte er einen großen Bogen um das Anwesen, ging an der Kirche vorbei und lief die Straße entlang zum Hirschenwirt.
Als er die Gaststube betrat, schlug ihm der übliche Dunst entgegen. Hier in Schöder war das Rauchen noch erlaubt. Am Stammtisch des Hutclubs saßen schon Franz Tauber, Horst Zander, Ludwig Grätzl und Waldemar Feischl: alle alten Säcke des Dorfes, die noch übrig waren. Die Jungen fuhren lieber in die Diskothek nach Murau. Nur der Jager Sepp fehlte, aber der lag ja seit Oktober im Spital.
Was auch das Thema des Gesprächs war, das seine Freunde gerade führten, als sich Alois zu ihnen setzte.
»I glaub ja, der Sepp packt es nimmer lang.« Franz Tauber wischte sich mit dem Hemdsärmel den Bierschaum von der Oberlippe. Die anderen nickten zustimmend.
»Fahr ma morgen alle hin?«, fragte Horst Zander in die Runde.
»In einer Woche is ja Weihnachten«, fügte Waldemar Feischl hinzu. »Und der Sepp is ganz allanig im Spital.«
»I bin a allan«, entgegnete Alois betrübt und bedankte sich anschließend bei Jungwirt Toni, der ihm gerade ein Krügel auf den Tisch stellte.
»I hob nur mehr meine Vogerln und meine Bam.« Mit hängendem Kopf beobachtete er, wie sich der Bierschaum langsam setzte.
»Geh hear doch auf, Loisl.« Freundschaftlich klopfte ihm Franz auf die Schulter. »Du host immer no uns.«
Alois verdankte es Franz Tauber, dass er immer noch auf dem Hof wohnen durfte.
»Jo, Burgermaster, du bist wirkli mei Freind, i waß eh.«
»Auf des trink ma! Prost!« Sie schlugen ihre Krügel zusammen, die anderen prosteten ihnen ebenfalls zu. Alois nahm einen kräftigen Schluck Murauer Bier und rülpste. Allgemeines Gelächter folgte.
»Na schau, jetzt lacht der Loisl wieder.« Waldemar Feischl grinste ihn an und begann seine Pfeife zu stopfen.
»Dabei hob i nix zum Lachen. Mir is scho wieda a Bam gstohlen worden aus mein Woid.« Dass es eigentlich nicht mehr sein Wald war, wusste nur der Bürgermeister. Aber schließlich ging es hier ums Prinzip. Einfach eine Tanne umzuschneiden war illegal und kein Kavaliersdelikt.
Interessiert hob Ludwig Grätzl den Kopf, während er die Schnapskarten mischte. »Des is schon das dritte Jahr, oder?«
Alois nickte. »Gott sei Dank nimmt der immer nur einen mit.« Ungerührt mischte Ludwig weiter. Alois betrachtete Ludwigs Hände, die voller Schrunden waren. War er der Dieb?
»Jo, der wird nur an Christbaum brauchen, jed´s Joar«, mischte der Zander sich ein. Das war Alois klar, aber warum konnte sich derjenige den Baum nicht einfach kaufen? Sicher, viele im Dorf machten eine schwere Zeit durch. Waldemar und Ludwig hatten schon vor Jahren ihre Arbeit verloren.
Horst Zander stöhnte. »I muass amol aufstehen. Mei Kreuz.« Er stand auf und drückte seinen Rücken durch. Seit seinem Bandscheibenvorfall vor drei Jahren war er in Frühpension.
»Na, ihr seid wirklich scho alte Knacker, mit euren Wehwechen.« Waldemar lachte. Rauch quoll dabei aus seiner Nase. Fruchtiger Tabakgeruch zog zu Alois hinüber. »Host es du ned im Kreuz?«, fragte Horst.
»Na, i bin pumperlgsund.« Noch während Waldemar das sagte, begann er zu niesen. Der grüne Lodenjanker, dem in Höhe des Bauchnabels ein Hirschhornknopf fehlte, spannte über seinem Bauch. Alois und die anderen lachten. »G‘sundheit!«
Lautstark putzte sich Waldemar die Nase. »Die Polypen hab ich halt noch«, erklärte er. »Operieren geh i sicher ned, lieber hab i ab und zu Nasenbluten.« Der Bürgermeister erhob sich nervös. »I muass gehn.«
»Kummt dei Frau di sonst wieder abholen?«
Die Kumpel grinsten und glucksten belustigt. »Nein. Christbaum schmücken. Die Enkerln kommen zu Weihnachten, da muss alles passen.«
»Du host scho an Bam?« Verblüfft blickte Alois seinen Freund an, der sich gerade seinen Hut aufsetzte. Franz Tauber besaß den größten und buschigsten Gamsbart des Hutclubs.
»I hab a scho an Bam«, brummte Waldemar in seinen Bart.
Alois winkte dem Bürgermeister zu und bestellte noch ein Bier. Horst Zander klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Waldemar gab ihm Feuer. »Na, spü ma an Bauern?« Ludwig Grätzl teilte die Schnapskarten aus. »Jetzt wo der Franz endlich weg ist.«
In Gedanken versunken nickte Alois. Dann klatschte er in die Hände und lächelte. Denn plötzlich ahnte er, wer seine Tannen gestohlen hatte.
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Jennifer B. Wind wurde in Leoben geboren und lebt mit ihrer Familie in Niederösterreich. Die ehemalige Flugbegleiterin schreibt Romane, Drehbücher, Theaterstücke und Kurztexte für Kinder (u.a. für die Kids Krone und Kinderknigge), Jugendliche und Erwachsene, die bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Ihr Debütthriller „Als Gott schlief“, wurde zum Bestseller. „Die Maske der Gewalt“ stand wochenlang auf der Bild Bestseller Liste. Als Coach und Mentorin kümmert sie sich um Nachwuchsautor*inn*en, arbeitet ehrenamtlich für diverse Autor*inn*envereine und sitzt seit 2012 in der Jury des Kinder- und Jugendkurzkrimiwettbewerbs Schreib.art sowie des Zeilen.lauf Lyrik und Kurzkrimipreises für Erwachsene.
Foto: ©Markus Achleitner
Auflösung:
Alois verdächtigt Waldemar Feischl, den Baum gestohlen zu haben. Am Baumstumpf hatten sich Pfeifentabak mit Kirscharoma sowie ein Stück grüner Zwirn befunden. Waldemar raucht fruchtigen Pfeifentabak und ihm fehlt ein Knopf am grünen Lodenjanker. Das Blut könnte aufgrund seiner Polypen auch von ihm stammen.