Weihnachten für Oleanna

von Lisa Keskin

Oleanna ist ein ganz besonderes Mädchen. Sie fällt auf, wenn sie in ihrem roten Mantel durch die Straßen geht. Den Mantel hat sie sich von ihrer Mama gewünscht, weil er so aussieht wie der vom Nikolaus: rot mit einem kleinen, weißen Plüschkragen. Damit laufen mehrere Mädchen herum. Auch die roten Stiefel, die sie dazu anhat, fallen nicht weiter auf.

Doch, dass Oleanna eine dunkle Haut hat wie Schokoladeneis und Augen so dunkel wie Kaffeebohnen, das lässt viele ein zweites Mal hinschauen. So etwas hat man in der kleinen Stadt noch nie gesehen!

Oleanna kommt von weit her. Übers Meer ist sie gekommen, als sie noch ganz klein war. Sie kann sich gar nicht mehr daran erinnern. Ihre Mama hat sie damals ganz fest gehalten, damit sie sicher ankommt und ihr Papa hat gut auf sie beide und ihren großen Bruder aufgepasst.

Mama erzählt ihr manchmal, dass es dort, wo sie herkommen, immer heiß ist. Dort gibt es keine Mäntel, und auch die Stiefel kann man dort nicht gebrauchen. Oleanna ist zwar neugierig auf dieses unbekannte Land, aber sie weiß jetzt schon, dass sie sich hier in ihrer kleinen Stadt wohler fühlt. Sie liebt den Schnee, sie geht gerne rodeln und sie liebt vor allem Weihnachten.

Ihr Papa hat ihr erklärt, dass ihre Familie eine andere Religion hat, dass sie keinen Christbaum haben und auch kein Weihnachten feiern. Aber Oleanna hat so lange gebettelt, auch Weihnachten feiern zu dürfen, bis ihr Papa endlich nachgegeben hat. Dieses Mal wird es zum ersten Mal einen Weihnachtsbaum in ihrer Wohnung geben!

Als sie am Weihnachtstag aufwacht, ist sie schon ganz zappelig und kann es kaum glauben, dass sie zum ersten Mal einen Christbaum zu Hause haben wird.

Sie zieht sich besonders hübsch an, bevor sie sich mit ihrer besten Freundin zum Spaziergang trifft: ihren roten Mantel und die Stiefel, eine weiße Hose und ihren Lieblingsrollkragenpullover mit den Rentieren darauf.

Dann gehen die beiden Mädchen eine Runde durch die kleine Stadt und bewundern die schönen Auslagen, die Beleuchtung und stapfen durch den Schnee, der im Park fast knöchelhoch liegt. Auf dem Rückweg kauft Oleanna für ihren Papa ein Paket mit seinem Lieblingskuchen, für die Mama hat sie schon ein Tuch besorgt und der große Bruder bekommt ein paar selbstgestrickte Socken.

Als es endlich Abend wird, springt das Mädchen vor Aufregung in der Wohnung herum, bis der Papa sie ermahnt. „Sei doch ruhig, das hält ja keiner aus! Mit deinem Lärm vertreibst du am Ende noch die Weihnachtsengel!“ Oleanna kichert, aber sie sitzt still. So lange kann es ja jetzt nicht mehr dauern!

Und endlich, endlich hört sie das leise Klingeln. Davon haben ihr ihre Freundinnen erzählt. Wenn es klingelt, dann war das Christkind da! Sie geht jetzt ganz langsam. Die Vorfreude zerreißt ihr fast das Herz. Und als sie den Weihnachtsbaum sieht, mit den Kerzen und den Kugeln, da jubelt sie laut.

„Papa, ich hab dich so lieb! Danke, dass wir Weihnachten feiern dürfen!“

Der Papa grummelt ein bisschen, aber nur ganz wenig. „Für dich mach ich doch alles, meine Kleine! Aber was ist jetzt mit unserer eigenen Religion?“

Da strahlt Oleanna ihn an: „Papa, wir feiern einfach alle Feste! Die von unserer Religion und auch Weihnachten! Man kann ja gar nicht genug feiern, oder? Und wir müssen ja nicht immer Geschenke bekommen! Schließlich haben wir uns und es geht uns so gut – das ist ausreichend Grund zum Feiern!“

Da muss auch der Papa schmunzeln und er drückt seine kleine Oleanna ganz fest.

Lisa Keskin ist Lehrgangsleiterin des Ghostwriterlehrgangs, Ghostwriter und Autorin, Mentaltrainerin und angehende Fachtrainerin.

Mehr zu ihr findest du unter lisakeskin.com

Foto: Rossart Photography