Weihnachten mit Alexa

Tina Albrecht-Pfaffeneder

Schnaufend stellte Konrad die vollgepackten Einkaufstaschen auf der Herdplatte ab, stützte sich mit den Händen auf der Arbeitsfläche seiner Küche ab und entspannte kurz die Muskeln seiner Oberarme. „Alexa, lies mir meine Einkaufsliste vor“, schnaufte er noch etwas kurzatmig.

Seine Alexa Dot der 5. Generation zählte ihm auf, was er für das Weihnachtsessen besorgen wollte. Nickend hakte er die Dinge auf der Einkaufsliste in seinem Kopf ab. Sauerrahm – verdammt! Den hatte er vergessen. Der stand in der Zutatenliste des Rezepts für die Suppe, die sie an den Feiertagen machen wollten. „Alexa, was kann man beim Kochen anstelle von Sauerrahm verwenden?“, fragte er und sofort erklang die weiche, weibliche Stimme durch den Raum: „Sauerrahm kann ersetzt werden durch Milch, Naturjoghurt, Butter, Margarine und Zitronensaft.“ Konrad atmete erleichtert auf. Milch hatte er gekauft, er musste sich also nicht noch einmal in den Wahnsinn begeben, der am 24.12. in den Supermärkten herrschte. Er verteilte die Einkäufe in den Kühlschrank und mehrere Laden seiner Küche. Dann holte er den noch verpackten Tannenbaum, den er links neben seiner Tür im Stiegenhaus angelehnt hatte und stellte ihn an den Platz, den sie vor sieben Jahren als den perfekten Baumplatz in ihrem Wohnzimmer auserkoren hatten. Es war ihr erstes Weihnachtsfest in dieser Wohnung gewesen und damals standen noch einige unausgepackte Umzugskartons herum. Für das Weihnachtsfest hatten sie Weihnachtsdeko darauf drapiert.

„Alexa, was meinst du, steht der Baum so richtig?“, fragte er.

„Das weiß ich leider nicht“, antwortete die Stimme sanft.

„Stimmt, das wissen wir erst, wenn wir das Netz aufgeschnitten haben“, lachte er und ließ mit einem schwungvollen Schnitt den Baum seine Äste entfalten. „Ha, perfekt! Passt wie ausgemessen. Jetzt wäre ein Lob für mich angebracht. Alexa, sag mir, dass ich das fantastisch gemacht habe.“

„Du bist spitze“, sagte die Stimme.

„Das ist alles? Na komm schon Alexa, mach mir ein Kompliment!“

„Zum Glück hab ich keine Füße, denn du haust mich jeden Tag von den Socken. Du bist für mich wie Spiderman und Star Wars zusammen, ganz großes Kino. Ich wollte Dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich …“

„Alexa stopp, das reicht“, lachte Konrad.

„Dann halt nicht. Tschüss!“, erwiderte die Stimme leicht eingeschnappt.

Als nächstes ging er in den Keller, packte die Kiste mit dem Baumschmuck, trug sie in die Wohnung und stellte sie neben dem Baum ab. Er öffnete die Kiste und sah hinein. „Alexa, gold, rot oder beides?“

„Da bin ich mir leider nicht sicher.“

„Hm, ja, ich mir auch nicht. Mal sehen …“. Er ließ seine Finger über die farblich sortierten Kugeln gleiten. „Gold. Ich finde, es ist ein Goldjahr. Bist du einverstanden, Alexa? Bitte sag ja!“

„Ja“, antwortete die Stimme entschlossen.

Er ging in die Küche, öffnete eine Flasche ihres Lieblingsweines, schenkte sich ein Glas davon ein und inhalierte für einen Augenblick mit geschlossenen Augen das Aroma. Auf dem Rückweg zum Baum nahm er einen Schluck davon und ließ den Wein genüsslich seine Kehle hinunterrinnen. „Alexa, starte meine Weihnachtsplaylist“, nuschelte er. Gleich darauf ertönte „All I want for Christmas is you“ in der Version von Jamie Cullum. Sie waren bisher auf alle seinen Konzerten in Wien und Umgebung gewesen, einmal sogar nach Manchester gefahren. Die Jahre, in denen der Ticketverkauf für eines seiner Konzerte startete, mochte er immer sehr gern. Er brauchte sich dann keine Gedanken machen, was er ihr zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken könnte. Er kaufte einfach zwei Karten und hoffte, dass sie ihn mit zum Konzert nehmen würde.

Wein trinkend und Weihnachtslieder summend schmückte er den Baum, zuletzt verteilte er noch reichlich Schokoschirme auf den Ästen. Als sie vor ihrem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest mit eigenem Baum im Supermarkt bei den Schokoschirmen stehen geblieben war, hatte er gelacht. „Echt jetzt? Du willst Schokolade an den Baum hängen? Kommen irgendwelche Kinder zu Besuch an den Feiertagen?“ Sie hatte ihn stirnrunzelnd angeschaut, ihn dann lächelnd auf die Nase geküsst und gesagt „Von Weihnachten hast du echt keine Ahnung. Wir sind die Kinder, du Dödel!“ Dann war sie fröhlich mit drei Packungen Schokoschirmen in Richtung Kassa losmarschiert. Eine weitere Erklärung hatte er nicht gebraucht, seitdem kannte er sich mit dem Baum-Schoko-Verhältnis bestens aus.

Als die Tanne fertig dekoriert war, ging er wieder in die Küche und fing mit der Vorbereitung für das Essen an. Er schnitt das Fleisch und das Gemüse in kleine Stücke und kochte ein paar Kartoffeln. Die Tradition, am Weihnachtsabend das Essen am heißen Stein zuzubereiten, hatte er mit in die Ehe gebracht. Er liebte heißen Stein und sie schloss sich seiner Liebe gerne an. Während er voller Inbrunst Salz auf die Steinfläche streute, Fleischstücke verteilte, auf ihren Gargrad überprüfte und wendete, arbeitet sie an der perfekten Zusammensetzung des Inhalts des kleinen Raclette-Pfännchens. Manchmal gelang ihr der perfekte Mix und immer stellte sie dann lachend fest, dass sie sich nicht gemerkt hatte, wieviel sie wovon hineingetan hatte.

Als Konrad mit der Vorbereitung fürs Weihnachtsessen fertig war, ging er ins Schlafzimmer und holte zwei Päckchen aus seinem Schrank, beide liebevoll in Geschenkpapier eingewickelt. Das Papier war unterschiedlich, doch beide Päckchen trugen die gleiche üppige goldene Masche und ein Namenskärtchen mit einem kleinen Engel darauf, verschmitzt grinsend in einer Schneelandschaft sitzend. Er platzierte die Päckchen unter dem Baum und betrachtete zufrieden sein Werk. „Alexa, wie spät ist es eigentlich?“

„Es ist 17 Uhr 35“, ertönte die Stimme.

„Sehr gut, perfektes Timing. Alexa, alle Lichter aus“, sagte er, ging im Halbdunkeln ins Vorzimmer, zog seine Schuhe und seine Jacke an, band sich den Schal um, den sie ihm aufgezwungen hatte, und setzte dann noch seine Haube auf. „Alexa, aktiviere Zeitschaltuhr für Lichterkette für 18 Uhr 30“, rief er ins Wohnzimmer, gleich darauf fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

Es war das erste weiße Weihnachtsfest seit sechs oder sieben Jahren. Er sah die funkelnde Weihnachtsbeleuchtung, die bunten Lichter in den Geschäften und die vor Aufregung strahlenden Gesichter einiger Kinder, die sich an der Hand ihrer Väter und Mütter auf der Straße tummelten. Ein warmes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus.

Er hatte sich als Grinch bezeichnet, als sie sich kennenlernten, und mit Weihnachten nicht viel anfangen können. Zu schrill, zu gefühlsduselig, zu kommerziell und er war immerhin und außerdem schon erwachsen. Sie hingegen liebte die Vorweihnachtszeit und war am 24.12. beim zu Bettgehen immer traurig, dass ihre Lieblingszeit des Jahres nun wieder vorbei war. Nie hatte seine Frau versucht, ihn von Weihnachten zu überzeugen, doch sie hatte sich in ihrer Begeisterung von ihm auch nicht bremsen lassen. Sie war vollkommen entzückt, wenn sie auf einem Weihnachtsmarkt ein für sie besonders Stück Baumschmuck fand und wusste bei jedem einzelnen Teil, wann und wo sie es gekauft hatten. Eine Fläche im Wohnzimmer hatte sie zu ihrem Dekorationsfreiraum erklärt und ab Mitte November diverse Rentiere, Schneemänner, Engel, beleuchtete Porzellanhäuser und Mistelzweige oben auf das Regal gestellt, das ihr ungefähr bis zur Brust reichte. Das war der perfekte Ausblick auf die Weihnachtslandschaft. Über die Jahre wurde das Gedränge auf dem Regal schon etwas unübersichtlich, aber sie genoss es, die Sachen einzeln zu betrachten und aufzustellen. Vor allem mochte sie Lichterketten aller Art. Konrad hatte die Deko-Explosion auf 50×150 cm nie gestört. Er hasste es aber, wenn seine Frau in der Vorweihnachtszeit vor ihm zu Bett ging und all die kleinen Lämpchen und Lichter für ihn anließ. Bevor er ins Bett gehen konnte, verbrachte er gute 15 Minuten damit, die diversen Knöpfchen zu suchen, um die Beleuchtung auszuschalten.

Nun erreichte er das große gusseiserne Tor, es quietschte leise beim Öffnen. Für einige weitere Meter waren noch Fußspuren erkennbar. In der dritten Reihe bog er nach rechts ab, und ab da stempelte er mit jedem weiteren Schritt seine Anwesenheit in die unberührte Schneedecke.

Am fünften Grab auf der rechten Seite blieb er stehen, schob die behandschuhten Hände in seine Hosentaschen und ließ den Blick langsam über die Grabstelle gleiten. Über den Schnee auf der Umrandung, den Marmordeckel und schließlich zum Grabstein. Am unteren Ende des Grabsteins stand ein eine leere Milchflasche mit einer Lichterkette darin. Seine Frau war nie eine gute Bastlerin gewesen, aber irgendwann hatte sie angefangen, sich simple Bastelprojekte einfallen zu lassen. Eine Lichterkette in einer leeren Milchflasche. Oder die oberste Schicht einer Weihnachtsserviette in einen Bilderrahmen gespannt und von der Rückseite mit einem kleinen Teelicht beleuchtet. „Mit Licht wird alles besser“, sagte sie immer.

Er ging zu der Milchflasche, nahm die Hände aus der Hosentasche, in der linken Faust hielt er drei kleine Knopfbatterien. Er kniete sich hin, öffnete die Milchflasche, fischte die Kette aus der großen Öffnung und wechselte die Batterien in dem kleinen schwarzen Kästchen, das an einem Ende baumelte. Die Lämpchen erstrahlten hell in der dunklen Luft. Er steckte sie zurück in die Flasche und stellte sie wieder an ihren Platz. Er hob Kopf ein wenig an, dann erst folgte langsam sein Blick, bis er an der Inschrift auf dem Grabstein liegenblieb. Mit dem Zeigefinger spurte er der Inschrift nach. A – L – E – X – A – N – D – R – A. „Frohe Weihnachten”, flüsterte er. Dann stand er auf, drehte sich um und ging in Richtung Ausgang, ohne sich noch einmal umzusehen.

Sobald er die Straße wieder erreicht hatte, schlüpfte er aus seinem rechten Handschuh, holte sein Handy aus der Jackentasche und öffnete die Alexa-App. „Alexa, starte die Kaffeemaschine, ich bin gleich zu Hause!“ Das bestätigende „bing bing“ ertönte. „Ich bin gespannt, wie dir dein Geschenk gefällt“, sagte er zu dem Display in seiner Hand. „Und ich glaube, ich weiß auch schon, was ich bekomme“. Lächelnd eilte er nach Hause.

Tina Albrecht-Pfaffeneder ist Absolventin der Ghostwriting Academy und angehende Ghostwriterin.